Zum ersten Mal ist es gelungen, anaerobe Bodenbakterien zur Bildung von Antibiotika zu bewegen. Solche Mikroorganismen, die nur in völliger Abwesenheit von Sauerstoff gedeihen können, waren bislang als Wirkstoff-Produzenten völlig unbekannt. Die neue Substanz Closthioamid ist gegen Problemkeime wie multiresistente Staphylokokken wirksam und könnte als Grundlage für die Entwicklung einer neuen Antibiotika-Generation dienen.
Seit der Entdeckung des Penicillins durch Alexander Fleming im Jahr 1928 wurde eine Vielzahl weiterer Antibiotika entdeckt. Dabei sind Naturstoffe aus Mikroorganismen die wichtigste Quelle für die therapeutische Anwendung am Menschen. Zahllose Menschenleben konnten gerettet werden, seit gefürchtete Infektionskrankheiten schnell und einfach bekämpft werden können. Doch die Erreger – meist Bakterien – sind sehr einfallsreich. Immer wieder gelingt es ihnen, die Wirkung von Antibiotika zu umgehen und dagegen resistent zu werden.Paradebeispiel ist Staphylococcus aureus, der heute als multiresistenter Keim kaum noch bekämpfbar ist und vor allem in Krankenhäusern lebensbedrohliche
Infekte auslöst.
Durch ihre hohe Vermehrungsrate geben die Bakterien ihre genetische Information rasend schnell weiter. So können sich auch Gene, die für Antibiotika- Resistenzen verantwortlich sind, binnen Wochen ausbreiten und sogar Artgrenzen überwinden. Die Medizin steht daher im Wettlauf mit der Natur, die durch fortwährende Mutation der Organismen solche Resistenzen hervorbringt. Weltweit arbeiten Forscher an der Suche nach neuen Antibiotika und versuchen, neue Quellen für antibakterielle Substanzen zu erschließen.
Anaerobes Bodenbakterium als Kandidat
Christian Hertweck und seine Kollegen am Leibniz Institut für Naturstoff- Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut in Jena wählten hierfür Bakterien, deren Lebensraum eine völlig Sauerstoff-freie Umgebung ist. Bei solchen „Anaerobiern“ wie Clostridium cellulolyticum war die Bildung von Antibiotika bisher völlig unbekannt. Das gesamte Genom des Bakteriums wurde kürzlich sequenziert, und den Jenaer Forschern fiel auf, dass Clostridium cellulolyticum Gene für die Bildung bislang völlig unbekannter Stoffe besitzt. Anscheinend sind diese Gene unter den standardisierten Laborbedingungen still.
Nährmedium aus Boden brachte Erfolg
Die Wissenschaftler versuchten, die Naturstoff-Synthese durch Variation der Kulturbedingungen in Gang zu setzen. Doch weder die Zugabe verschiedener Nährstoffe und Stressfaktoren, noch die Änderung von Temperatur oder pH-Wert führten zum Erfolg. Schließlich besannen sich Hertweck und Kollegen auf die Herkunft des Bakteriums: Es wurde aus pflanzlichem Kompost isoliert und trägt zum Verrottungsprozess bei, indem es die Cellulose abgestorbener Pflanzen abbaut. Daher lag es nahe, bei der Kultivierung ähnliche Bedingungen zu schaffen, wie sie in der natürlichen Umgebung des Bakteriums vorherrschen.
Nach Zugabe eines Extraktes aus einer Bodenprobe änderte sich das Bild: Das Spektrum der von Clostridium cellulolyticum gebildeten Stoffe enthielt eine neue Komponente. Aus fünf Litern Kulturansatz konnte in langwierigen Trenn- und Reinigungsprozeduren ein Milligramm der neuen Verbindung isoliert werden. Die winzige Menge reichte zur Aufklärung der Molekülstruktur und der biologischen Aktivität.
Schwefelhaltig und gegen multiresistente Keime wirksam
Die Ergebnisse sind in mehrfacher Hinsicht überraschend. Der neue Naturstoff – er erhielt die Bezeichnung Closthioamid – ist ein strukturell sehr ungewöhnliches, symmetrisches Molekül, das zahlreiche Schwefelatome besitzt. Erste biologische Untersuchungen zeigten zudem, dass Closthioamid gegen multiresistente Krankheitserreger aktiv ist. Die Wirkungsweise ist bislang unbekannt. Die laufenden Forschungen am HKI sollen nicht nur den Mechanismus aufklären, sondern auch zeigen, ob der neue Naturstoff für die Entwicklung von Antibiotika geeignet ist. Außerdem studieren die Wissenschaftler die Biosynthese der außergewöhnlichen Substanz. Sie könnte Möglichkeiten aufzeigen, das Molekül durch gentechnische Eingriffe in das bakterielle Erbgut gezielt zu verändern und bestimmte Eigenschaften zu verstärken.
„Wir freuen uns sehr über unsere überraschende Entdeckung. Nicht nur, weil wir ein neues Antibiotikum gefunden haben. Durch unsere Arbeit wird auch klar, dass das Potential einer riesigen Organismengruppe bislang völlig übersehen wurde“, so Professor Christian Hertweck zum Erfolg seines Teams. „Offensichtlich muss man nur die richtigen Bedingungen finden, um den Mikroorganismen ihre Schätze zu entlocken. Die kommenden Jahre werden auf diesem Gebiet sicherlich noch viele Überraschungen bringen.“ Die Ergebnisse wurden im angesehenen Fachjournal Angewandte Chemie International Edition publiziert.
(Leibniz-Institut für
Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (HKI), 09.04.2010 – NPO)