Evolution

Neue Urmenschenart entdeckt

1,9 Millionen Jahre altes Bindeglied zwischen den Gattungen Australopithecus und Homo

Schädel des Australopithecus sediba © Universität Zürich

In Südafrika haben Wissenschaftler eine neue Hominidenart entdeckt, die ein Bindeglied zwischen dem Australopithecus und den ersten Homo-Menschenformen sein könnte. Die rund 1,9 Millionen Jahre alten Fossilien zeigen Merkmale beider Gattungen. Die „Australopithecus sediba“ getaufte Übergangsform, die jetzt in „Science“ vorgestellt wird, liefert neue Erkenntnisse für den Stammbaum des Menschen.

Vor rund zwei Jahren fanden südafrikanische Forscher in einer kleinen Höhle innerhalb des UNESCO Weltnaturerbes „Cradle of Humankind“ in Südafrika fossile Knochen von zwei Urmenschen. Sie stammen aus der Familie Hominidae, der menschenähnlichen Primaten. Bereits damals vermuteten die Wissenschaftler, dass es sich um spezielle Fossilien handeln könnte. Die Altersbestimmung einer Kalksinterschicht ergab ein Alter von 2,026 ±0.021 Millionen Jahren. Somit können die Fossilien, die in der darüberliegenden Schicht gefunden wurden, nicht älter sein. Vermutlich begrub ein Schlammstrom die Fossilien in der Höhle.

Inzwischen haben Paläontologen dort mehr als 180 Elemente von mindestens vier Individuen eines bisher unbekannten, möglichen Vorfahren des Menschen gefunden. Zwei Individuen dieser Menschenart beschreiben Peter Schmid vom Anthropologischen Institut der Universität Zürich und seine Forscherkollegen der Universitäten von Witwatersrand in Südafrika, der Texas A&M Universität sowie der Duke Universität in den USA nund der James Cook Universität in Australien zwei Individuen dieser Menschenart jetzt in „Science“. Das jugendliche Individuum besteht aus einem Schädelfragment, einem Unterkieferfragment, sowie einem Teilskelett. Das erwachsene Individuum umfasst Einzelzähne, Unterkieferfragmente und ein Teilskelett. „Diese Skelette sind besser erhalten und vollständiger als diejenigen der bekannten Lucy“ stellt Schmid fest. „Die Fossilien sind zwischen 1,78 und 1,95 Millionen Jahre alt.“

Neuer Stammbaum des Menschen © Peter Schmid

Meilenstein der Menschheitsgeschichte

Die Funde passen zu keiner bisher bekannten Hominidenart – sie bilden deshalb einen neuen Meilenstein in der Geschichte der Menschheit. Aufgrund des Alters und der Morphologie ordnen die Forscher die neue Hominidenart vorsichtigerweise der Gattung Australopithecus zu. Sie gaben ihr den Namen Australopithecus sediba, was in der seSotho-Sprache „Brunnen“ oder „Quelle“ bedeutet. Die Australopithecinen umfassen verschiedene Arten wie beispielsweise den Australopithecus africanus, den Australopithecus afarensis oder den Australopithecus garhi. Sie sind vor gut 4 Millionen Jahren aufgetaucht und vor circa 1,4 bis 1,5 Millionen Jahren ausgestorben. Sie kommen nur auf dem afrikanischen Kontinent vor und aus ihnen entwickelte sich die Gattung Homo und damit der Homo sapiens.

Kleiner Schädel mit Ähnlichkeiten zum Homo

Wie Schmid und seine Kollegen in „Science“ schreiben, besitzt die neue Hominidenart einen relativ kleinen Schädel – ein typisches Merkmal des Australopithecus. Die Schädelkapazität umfasst nur 420 Kubikzentimeter und ist deutlich kleiner als beim Australopithecus africanus mit durchschnittlich 480 Kubikzentimetern. Der Gesichtsumriss unterscheidet sich hingegen vom Australopithecus africanus durch weniger ausgedehnte Jochbeine und eine schräg nach unten verlaufende Kontur des Oberkiefers. Der Unterkiefer lässt ein stark fliehendes Kinn vermissen und der Eckzahn ist eher schmal und klein.

Schädel und Kiefer von Australopithecus sediba © Universität Zürich

Schulter und Becken eher Australopithecus

Der Schultergürtel entspricht wiederum dem typischen Australopithecus-Muster: Das Gelenk des Schulterblatts ist deutlich nach oben gerichtet und die Achselkante ist sehr kräftig. Die Gelenksenden des Oberarms sind massiv. Die Unterarmknochen sind affenähnlich lang. Die Fingerknochen sind robust, gebogen und besitzen starke Ansatzstellen für die Sehnen der Beugemuskeln, was auf kräftige Kletterhände deutet.

Zahlreiche Merkmale des Oberschenkels, des Kniegelenks und des Sprunggelenks lassen vermuten, dass Australopithecus sediba sich ähnlich bewegte wie die übrigen Australopithecinen. Das Sprunggelenk und das Fersenbein sind so geformt, dass der Fuss vermehrt nach innen gedreht werden konnte, was für das Klettern von Vorteil ist. Der Hominide konnte aber auch aufrecht am Boden auf zwei Beinen gehen. Die Beinknochen scheinen allerdings länger zu sein als bei den Australopithecinen.

Zwischen Australopithecus africanus und Homo erectus

„Der gesamte Körperbau entspricht demjenigen eines Menschenartigen der australopithecinen Anpassungsstufe“, erklärt Peter Schmid. Er nimmt an, dass der Australopithecus sediba ein Nachfahre des Australopithecus africanus ist. Einige Eigenheiten des Bewegungsapparates lassen hingegen den Schluss zu, dass diese neue Art mehr spezielle Züge der früheren Vertreter der Gattung Homo aufweist als alle anderen Australopithecus-Arten. So entspricht das Becken viel eher demjenigen des Homo. Zudem zeigt der Malapa-Schädel einige Ähnlichkeiten mit dem Homo erectus.

Bis heute fehlt eine gesicherte Verbindung zwischen den Gattungen Australopithecus und Homo. „Unsere Hominidenart könnte eine Ahnenform der Gattung Homo sein“, sagt Peter Schmid. Möglich ist ebenfalls, dass er ein enger Verwandter einer solchen Ahnenform ist, die noch einige Zeit neben den ersten Vertretern der Gattung Homo existierte. Die Skelette aus Malapa zeigen auf jeden Fall eine Übergangsform eines Hominiden, der klein gewachsen ist und mehr in den Bäumen lebt, zu einem möglicherweise am Boden lebenden Zweibeiner, wie zum Beispiel dem Homo erectus. „Die neue Hominidenform erfordert eine Neudefinition der Gattung Homo und die Lehrbücher müssen neu geschrieben werden“, erklärt Schmid.

(Universität Zürich, 09.04.2010 – NPO)

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