Obwohl Säuglinge den Inhalt des Gesagten noch nicht verstehen, spezialisiert sich ihr Gehirn bereits sehr früh auf die Verarbeitung der menschlichen Stimme und der in ihr ausgedrückten Emotionen. Dies hat jetzt ein internationales Forscherteam gezeigt. In der Fachzeitschrift „Neuron“ stellen die Wissenschaftler die Entwicklungsursprünge der auf die Stimmenverarbeitung spezialisierten Regionen im auditiven Zentrum des Gehirns vor.
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Unser Gehirn verarbeitet akustische Reize im Hörzentrum, das sich auf der oberen Windung des so genannten Temporallappens des Großhirns befindet. Von Studien mit Erwachsenen weiß man, dass bestimmte Regionen sich auf die Verarbeitung von Stimmen spezialisieren und auch auf die emotionale Intonation der Stimme reagieren. Das bedeutet, dass je nach Unterton der Sprache eine spezifische Stimmverarbeitung stattfindet. Dieser fundamentale Mechanismus ist besonders wichtig für die soziale Kommunikation, denn die Stimme überträgt nicht nur reine Sprachinformation, sondern dient auch dazu, dem Empfänger etwas über den emotionalen Zustand des Sprechers zu vermitteln.
Bestimmte neuronale Mechanismen sind besonders auf die Verarbeitung von emotionalem Ausdruck abgestimmt. Signale, die für das Individuum eine Gefahr bedeuten, werden vorrangig verarbeitet – und das unabhängig davon, ob die Aufmerksamkeit des Individuums diesem Signal galt oder nicht. Zwar waren diese Mechanismen für das Erwachsenengehirn bereits gut beschrieben worden, doch fehlte es bisher an Informationen darüber, wann und wie sich dieser Bereich des Gehirns entwickelt.
Experimente schließen Wissenslücke
Diese Wissenslücke ist jetzt durch zwei neue Experimente geschlossen worden. Säuglinge im Alter von vier und sieben Monaten wurden auf ihre Reaktion gegenüber Stimmen einerseits und Musik, Alltags- Natur- und Tiergeräuschen andererseits untersucht. Außerdem testeten die Forscher des Leipziger Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften, des Centre for Brain and Cognitive Development am Birkbeck College London sowie des Berliner Neuroimaging Centre der Charité Universitätsmedizin, wie die sieben Monate alten Kinder auf den emotionalen Ton der Stimme, also auf Stimmen mit fröhlichem, wütendem oder neutralem Unterton, reagierten.
Mit Hilfe von Nah-Infrarot-Spektroskopie (NIRS) maßen die Wissenschaftler Veränderungen in der Sauerstoffkonzentration des Blutes und konnten so herausfinden, welche Gehirnregionen an der Stimmverarbeitung mitwirkten. Die Forscher um Tobias Grossmann fanden dabei heraus, dass die Gehirne von vier Monate alten Kindern zwar bereits zwischen stimmlichen und nichtstimmlichen Signalen unterscheiden können, doch dass erst bei sieben Monate alten Kindern die Signalantwort der von Erwachsenen gleicht.
Fundamentaler Mechanismus
Im zweiten Experiment zeigte sich, dass bereits sieben Monate alte Säuglinge bei fröhlichem oder wütendem Unterton eine stärkere Signalantwort in einer Region zeigen, die sich auf die Stimmverarbeitung spezialisiert hat. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die bevorzugte Verarbeitung von emotional geladener Sprache ein fundamentaler, sich frühzeitig in der rechten Gehirnhälfte entwickelnder Mechanismus ist.
Außerdem fanden die Forscher heraus, dass Worte mit wütender Prosodie zu einer besonders ausgeprägten Reizverarbeitung im temporalen Kortex führten, während Worte mit einem fröhlichem Unterton genauer im frontalen Kortex analysiert wurden.
Zentren für Stimmenverarbeitung spezialisieren sich früh
In vorangegangen Studien haben Neurowissenschaftler eine gestörte Stimmenverarbeitung bei Erwachsenen mit Autismus nachgewiesen. Die neuen Befunde mit Säuglingen zeigen, dass sich die dafür verantwortlichen Zentren im Gehirn schon sehr zeitig spezialisieren, was darauf hindeutet, dass die beim Autismus gestörten Entwicklungsprozesse wahrscheinlich sehr früh identifiziert werden könnten.
(idw – Max-Planck-Gesellschaft, 29.03.2010 – DLO)