Evolution

Säuger: Saugmaul wichtiger als Sinnesorgane

Der Ameisenigel und der mosaikartige Ursprung der Säugetier-Embryonen

Ameisenigel, Zeichnung von John Gould, Mammals of Australia (1849-1861). © historisch

Der australische Ameisenigel gehört zu den letzten Überlebenden der ursprünglichsten Säugetiere, die wie die Reptilien noch Eier legten. Jetzt haben Forscher die seltenen Embryonen des Ameisenigels untersucht und die entwicklungsbiologischen Veränderungen aufgedeckt, die das Zeitalter der Säugetiere einleiteten und letztlich den Ursprung des Menschen erst ermöglicht haben.

Als vor etwa 65 Millionen Jahren die Dinosaurier ausstarben, hatten sich bereits die ersten, reptilienartigen Säugetiere entwickelt. Ihre Nachfahren sollten einmal die ganze Erde bevölkern – und als Menschen sogar in das Weltall vordringen. Zwei wichtige Merkmale ermöglichten ihren evolutionären Erfolg: das Heranreifen der Embryonen im Mutterleib und der namensgebende Milchsäugemechanismus der Jungtiere. Durch das Muttertier in dieser frühen Lebensphase beschützt, wird die Überlebenswahrscheinlichkeit stark erhöht.

Jetzt ist ein schweizer Forscherteam den Ursachen dieser gewaltigen Veränderungen auf den Grund gegangen. Ingmar Werneburg und Marcelo Sánchez vom Paläontologischen Institut der Universität Zürich verglichen die äußerst seltenen Embryonen des australischen Ameisenigels Tachyglossus aculeatus mit denen anderer Wirbeltierembryonen. Der Ameisenigel gehört mit dem Schnabeltier zu den Kloakentieren, der ursprünglichsten Säugetiergruppe, die noch Eier legt. Die Zitzen der Kloakentiere sind noch nicht ausgebildet, aber die Jungen lecken die Milch von einem Milchdrüsenfeld vom Bauch der Mutter ab.

Embryologie als Mosaik

Werneburg untersuchte in den Embryonen von 23 Wirbeltierarten, in Salamandern, Schildkröten, Vögeln, Krokodilen und Echsen über 100 klar definierte Entwicklungsmerkmale. Er verglich ihr zeitliches Auftreten untereinander und stellte zahlreiche Verschiebungen in den Entwicklungssequenzen fest. Diese Veränderungen visualisierten die Wissenschaftler auf einem Stammbaum.

Zwei Embryonalstadien des Ameisenigels Tachyglossus aculeatus. Links ein früher Embryo, dessen Körpersegmentierung noch gut zu erkennen ist, die Beine und der Kieferapparat sind nur als Anlagen entwickelt. Rechts ein später Embryo vor dem Schlupf. Die Augen sind noch nicht weit entwickelt und noch verschlossen. © verändert nach Richard Semon (1894)

Dabei zeigte sich, dass sich die entscheidenden Veränderungen im Übergang von Reptilien zu Säugern nicht auf einmal und in einer Linie, sondern mosaikartig entwickelt haben. In ihrer bei „Acta Zoologica“ publizierten Studie stellen die Forscher diese mosaikartige Embryonalentwicklung der ursprünglichen Säugetiere vor. So reifen die Jungen der Kloakentiere wie die Reptilien in Eiern heran. Sie entwickeln kurzzeitig einen so genannten Eizahn am vorderen Rand des Oberkiefers, mit dem sie das Ei von innen her aufschlitzen müssen, um schlüpfen zu können.

Saugmaul vor Sinnesorganen

Im Gegensatz zu den Reptilien jedoch entwickeln sich die Sinnesorgane Augen und Ohren bei allen Säugetieren relativ langsam. So sind bei Menschen und Meerschweinchen die Augen beispielsweise noch lange nach der Geburt verschlossen. Dafür entwickeln sich bei den Säugern der Kiefer- und Halsapparat sehr viel schneller als bei den Reptilien. Da Säugetiere in der frühen Lebensphase vom Muttertier beschützt werden, ist es effektiver, die energiereiche Entwicklung der Sinnesorgane hintenan zu stellen und die Organe der komplizierten (säugenden) Nahrungsaufnahme schneller zu entwickeln.

Reptilien hingegen müssen sich kurz nach dem Schlupf vor Feinden schützen und selbst Nahrung finden. Dazu benötigen sie sofort gut ausgebildete Sinnesorgane. Der Fressmechanismus ist überdies einfacher. Während sie für das Zuschnappen vor allem die Kiefermuskulatur benötigen, sind beim Saugen der Säugetiere auch frühzeitig entwickelte Hals- und Zungenmuskeln von großer Bedeutung.

Klammerbeine als Ameisenigel-eigene Entwicklung

Der Ameisenigel selbst stellt allerdings nicht den prototypischen Ursäuger dar. Wie jede Tierart ist auch er durch zahlreiche einzigartige Merkmale charakterisiert, die sich in Anpassung an seine spezielle Lebensweise entwickelten und die oft unabhängig voneinander in der Evolution entstanden sind. So betonen die Forscher, dass die vorgezogene Entwicklung der Vorderbeine bei Kloaken- und Beuteltieren eine parallele Entwicklung darstellt, angepasst an das frühe Kletterverhalten der Jungtiere am Bauchfell der Mutter.

Die entscheidenden Veränderungen jedoch, die zum erfolgreichen Zeitalter der Säugetiere, und nicht zuletzt auch des Menschen geführt haben, lassen sich bereits in der frühen Embryonalentwicklung ablesen. Um weitere Details für diese bedeutende Phase der Evolution zu verstehen, sind zahlreiche Studien der Vergleichenden Anatomie nötig, einem Forschungszweig, der noch am Anfang seiner eigenen Entwicklung steht.

(Universität Zürich, 16.03.2010 – NPO)

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