Physik

Präzisionswaage für Atomkerne

Neue Methode erleichtert Suche nach stabilen Elementen jenseits des Urans

Projektleiter Michael Block überprüft die Spannungen an den Elektroden der Falle. Ein supraleitender Magnet in der weißen Trommel erzeugt das nötige Magnetfeld. © MPG

Superschwere Elemente lassen sich nur im Labor erzeugen und sind nur Sekundenbruchteile stabil. Doch es könnte auch jenseits des Urans stabile Atomkerne geben, so die Theorie. Eine Voraussetzung, um diese „Insel der Stabilität“ zu finden, haben jetzt deutsche Physiker geschaffen: Sie entwickelten eine Präzisionswaage für superschwere Atomkerne, mit der sich das Suchgebiet eingrenzen lässt. Das berichten sie jetzt in „Nature“.

Forscher stoßen immer weiter in das Reich der superschweren Elemente vor, sie erzeugen die so genannten Transurane im Labor. Doch je schwerer die Atomkerne der neu erzeugten Stoffe sind, desto schneller zerfallen sie, oft innerhalb von Millisekunden. Welche Kombinationen von Protonen- und Neutronenzahl stabile Kerne ermöglichen, ist nicht bekannt. Bislang konnten Physiker die Massen von superschweren Atomkernen nur indirekt messen, indem sie die beim radioaktiven Zerfall frei werdende Energie und die Massen der leichteren, wägbaren Zerfallsprodukte bestimmte. Durch Addieren der Energien kommen sie dabei auf die Gesamtenergie und somit die Masse des Ausgangskerns. „Doch diese Methode ist sehr ungenau, weil die Energie, die

beispielsweise in Form von Anregungsenergie im übrigbleibenden Atomkern steckt, unberücksichtigt bleibt“, erklärt Klaus Blaum, Direktor am Max- Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg.

Ionen in der Falle

Nun hat die internationale Kollaboration unter Leitung von Michael Block, der an der GSI in Darmstadt forscht, erstmals direkt die Masse eines superschweren Elementes bestimmt. Ihre Präzisionswaage trägt den Namen SHIPTRAP. Im Experiment erzeugen die Forscher mit dem Teilchenbeschleuniger an der GSI zunächst geladene Nobelium-Atome (Ordnungszahl 102) durch Beschuss einer Bleifolie mit Kalziumionen. Die neuen Ionen sind jedoch für die weitere Verwendung viel zu schnell, sie besitzen eine Geschwindigkeit von einigen Tausenden Kilometern pro Sekunde.

In einer Helium-gefüllten Gaszelle müssen sie erst abgebremst werden, damit sie in die so genannte Penning-Falle eingeschleust werden können. Verbesserungen in den letzten Jahren ermöglichen es heute, rund ein- bis dreihundert Nobelium-Ionen innerhalb weniger Stunden in die Penning-Falle zu schleusen und eine hochpräzise Messung zu machen. Die Penning-Falle zwingt die Nobelium-Ionen mithilfe elektrischer und magnetischer Kraftfelder auf eine Schraubenbahn, die sich zu einem Ring schließt wie eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Für die Kreisbewegung eines Ions auf der Bahn ergeben sich damit zwei Frequenzen: eine für die Bewegung in der Schraube und eine für die Bewegung in dem Ring, den die Schraube formt.

Frequenzsumme ergibt Atomkern-Masse

Die Summe der beiden Frequenzen hängt über eine simple Formel mit der Masse des Atomkernes zusammen. Die Frequenzsumme bestimmten die Wissenschaftler, indem sie in die Penning-Falle elektromagnetische Wellen geeigneter Frequenz einstrahlten. Wenn die Frequenz der Strahlung der Frequenzsumme entspricht, gewinnt das Ion an Bewegungsenergie und erreicht beim Auswurf aus der Falle einen Nachweisdetektor schneller. Dieser Detektor unterscheidet die schnellen von den langsamen Atomkernen und so lässt sich die Frequenzsumme und damit die Masse bestimmen. Die Forscher haben die Atomkerne des Nobeliums damit bis zu zehnmal genauer gemessen als mit der indirekten Methode möglich. Zum Vergleich: Um einen Menschen mit der gleichen Präzision zu wiegen, müsste man sein Gewicht etwa auf ein Milligramm genau messen.

„Kompass“ zur Insel der Stabilität

Die Präzisionswaage für superschwere Elemente hat noch ein weiteres wichtiges potenzielles Einsatzgebiet. Mit ihr wird es überhaupt erst möglich, langlebige superschwere Elemente von der so genannten „Insel der Stabilität“ nachzuweisen, sollten sie im Labor entstehen. „Wenn wir die Insel der Stabilität finden, lernen wir dabei viel über das Wesen der Kräfte, die in Atomkernen wirken, also darüber, was die Welt im Innersten zusammenhält“, erklärt Blaum, der die neue Methode zusammen mit Forschern der GSI sowie mehreren deutschen Universitäten entwickelt hat. Mit diesem Wissen könne man besser verstehen, wie die schweren Elemente bis zum Uran in Sternen entstanden sind.

„Ein Kompass zum Auffinden der Insel der Stabilität ist die präzise Messung der Masse superschwerer Atomkerne“, sagt Blaum. „Bislang werden superschwere Elemente indirekt über ihren radioaktiven Zerfall nachgewiesen.“ Aber stabile Kerne zerfallen nicht beziehungsweise nur sehr langsam. Deshalb kann man sie auch nur schwer über ihren radioaktiven Zerfall nachweisen. Sie zu wiegen, wäre ein geeigneter direkter Nachweis. Allerdings geht das mit der aktuellen Version der Präzisionswaage noch nicht. Denn je schwerer die erzeugten Kerne, desto seltener entstehen sie im Teilchenbeschleuniger. Von dem jüngst von der GSI getauften Element Copernicum (Ordnungszahl 112) stellt ein Teilchenbeschleuniger nur etwa ein Partikel pro Woche her.

Kälte und verbesserte Nachweismethoden

Derzeit arbeiten die Forscher des Max-Planck-Instituts für Kernphysik daher an zwei Neuerungen, um das Wiegen von Atomen zu ermöglichen, die nach seltenerer erzeugt werden als das Nobelium. Erstens entwickeln sie zusammen mit Kollegen aus München eine so genannte kryogene Gaszelle, die bei minus 200 Grad Celsius betrieben werden soll. Bei dieser Kälte ist zwar das Helium noch gasförmig. Aber Wasserdampf, der immer vorhanden ist und viele Nobelium-Ionen elektrisch neutralisiert, so dass sie in der Penning-Falle nicht festgehalten werden können, friert aus und wird so unschädlich gemacht. „Die neue Gaszelle könnte deutlich mehr Ionen für die Messung verfügbar machen als die aktuelle“,

sagt Blaum. Sie soll noch in diesem Jahr für das Wiegen weiterer Kerne eingesetzt werden.

Die zweite Neuerung ist eine weiterentwickelte Version des Nachweissystems der Ionen in der Penning-Falle, die Präzisionswägung mit einem einzigen Atom der zu wiegenden Substanz bewerkstelligen kann. Bei dieser Methode muss das Ion nicht aus der Penning-Falle geschleudert werden, um seine Frequenz zu messen, daher „verbraucht“ sie die Ionen nicht. Die Frequenz wird vielmehr durch Messung des winzigen elektrischen Stromes bestimmt, der beim Kreisen des Ions entsteht. „Somit würden sich auch superschwere Ionen wiegen lassen, die nur alle paar Stunden oder Tage entstehen“, sagt Blaum und hofft, dass diese Waage in wenigen Jahren fertig sein wird.

Trotz des jetzigen Fortschritts und den vielversprechenden Weiterentwicklungen der Atomwaage wagt Blaum keine Prognose, wann die Insel der Stabilität erreicht werden wird. Die seefahrenden Entdecker vergangener Jahrhunderte hatten es nicht leichter. Dennoch haben sie die Weltkarte nach und nach

vervollständigt.

(Max-Planck-Gesellschaft, 11.02.2010 – NPO)

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