Vor rund einer Million Jahren sind unsere Vorfahren möglicherweise nur um Haaresbreite einem Aussterben entgangen. Das entdeckten amerikanische Forscher bei der Auswertung genetischer Unterschiede. Die Populationen von Homo erectus und den anderen frühen Menschenformen schrumpften zu dieser Zeit plötzlich auf nur noch 55.500 Individuen weltweit zusammen – eine extrem kleine Anzahl, wie die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) berichten.
Vor rund einer Million Jahren war die Ausbreitung des Menschen in vollem Gange. Homo erectus, Homo ergaster und frühe Formen des Homo sapiens hatten, aus Afrika kommend, weite Teile Asiens und Europas besiedelt, das zeigen Fossilfunde aus dieser Zeit. Nach bisheriger Annahme musste es damals auch entsprechend hohe Anzahlen dieser Menschenarten gegeben haben. Doch genau das hat sich jetzt als Irrtum herausgestellt, wie Lynn Jorde, Genetikerin an der Universität von Utah in Salt Lake City, und ihre Kollegen herausfanden. Den entscheidenden Hinweis dafür lieferten die Gene.
Springende Gene als Populationsmesser
Die Wissenschaftler hatten für ihre Studie zwei komplett sequenzierte menschliche Genome auf einen bestimmten Typ mobiler DNA-Abschnitte, die so genannten Transposons, hin analysiert und verglichen. Dabei handelt es sich um kurze DNA-Schnipsel, die sich – wie eine Art Parasit – im Laufe langer Zeiträume in verschiedenen Regionen des menschlichen Erbguts vermehren und ausbreiten können. Eines dieser Transposons, die so genannte Alu-Sequenz, erschien erstmals vor rund einer Million Jahren. Aus der Position, der Mutationsrate und dem Vergleich dieses Transposons mit der Diversität des Gesamtgenoms lässt sich ermitteln, wie hoch die genetische Vielfalt im menschlichen Erbgut heute und in der Frühzeit der Menschheitsentwicklung war. Indirekt können die Wissenschaftler so auch auf die Populationsgröße der damaligen Menschheit schließen.
Nur noch 18.500 fortpflanzungsfähige Menschen
Und dies enthüllte Überraschendes: Denn vor rund einer Million Jahren war die genetische Vielfalt der Menschheit zwar höher als heute, die tatsächliche Populationsgröße aber lag weit darunter: Effektiv lag sie bei 18.500 fortpflanzungsfähigen Menschen weltweit – das ist weniger als die Zahl der damals lebenden Gorillas und Schimpansen, von denen es schätzungsweise 25.000 und 21.000 allein in Afrika gab. Maximal, so die Forscher, lag die Gesamtzahl der damals lebenden Menschen bei 55.500. Nach dieser Zeit stieg ihre Populationsgröße zwar allmählich wieder an, aber die genetische Vielfalt des Menschen blieb dank dieses „Flaschenhalses“ in der Entwicklung eingeschränkt.
Katastrophaler Einschnitt vor einer Million Jahren
Nach Ansicht der Wissenschaftler deutet dies darauf hin, dass die Menschheit vor rund eine Million Jahren eine Katastrophe erlebte, die sie nur knapp am Aussterben vorbeischrammen ließ. Bisher nahm man ein solches Szenario für die Zeit vor 70.000 Jahren an, als der Supervulkan Toba ausbrach und möglicherweise einen Jahre lang dauernden vulkanischen Winter weltweit auslöste. „Wir haben mehrere solcher Zyklen durchlebt, in der wir große Populationsgrößen hatten, aber auch sehr kleine“, erklärt Barr.
Angesichts der neuen Erkenntnisse war die Toba-Katastrophe möglicherweise gar nicht der große Flaschenhals, für den man ihn bisher hielt. Denn die Daten könnten daraufhin deuten, dass die menschliche Bevölkerung seit dem Einschnitt vor rund einer Million Jahren vielleicht ständig eher auf niedrigem Niveau lag. Dann wäre Toba nur eine von vielen größeren und kleineren Katastrophen im Laufe der Menschheitsentwicklung gewesen.
Was allerdings vor einer Million Jahren für das drastische Schrumpfen der Populationsgröße unserer Vorfahren verantwortlich gewesen sein könnte, ist bisher nicht bekannt.
(University of Utah, 25.01.2010 – NPO)