Seit bald zwanzig Jahren gibt der Widerspruch im Modell der kalten Dunklen Materie – die so genannte „kalte-Dunkle-Materie-Katastrophe“ – Wissenschaftlern Rätsel auf. Jetzt ist es einem internationalen Forscherteam bei der Simulierung der Entstehung von scheibenförmigen Zwerggalaxien endlich gelungen, das Paradoxon zu lösen. Die Wissenschaftler berichten über ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe von „Nature“.
Kalte Dunkle Materie – bis heute arbeitet die Wissenschaft am positiven Nachweis ihrer Existenz. Viele astrophysikalische Phänomene sind aber nur erklärbar, wenn ihr Vorhandensein vorausgesetzt wird: Das Modell der kalten Dunklen Materie (CDM) erklärt beispielsweise die Verteilung der Galaxien und der Standardmaterie im Universum. Solange das Modell in sehr großen Dimensionen, das heißt in der Größenordnung von Milliarden von Lichtjahren angewendet wird, stehen Modellvoraussage und astronomische Beobachtungen im Einklang.
Wird es dagegen in der Größenordnung von Einzelgalaxien – also in Dimensionen von hundert bis tausend Lichtjahren – eingesetzt, versagt das Modell und führt zu einem Paradox mit der gemessenen Realität.
Modell sagt hohe Dichte an kalter Dunkler Materie voraus
Gemäß der Modellvorhersage müsste das Zentrum einer Galaxie schneller rotieren als dies die astronomischen Messungen effektiv anzeigen. Das Modell sagt im Zentrum einer Galaxie eine wesentlich höhere Dichte an kalter Dunkler Materie voraus als dies der Fall sein kann.
Seit bald zwei Jahrzehnten haben sich Astrophysiker, Teilchenphysiker und Astronomen bemüht, diese „kalte-Dunkle-Materie-Katastrophe“, wie der Widerspruch von Forschern auch genannt wird, aufzulösen und ein Erklärungsmodell für das unterschiedliche Verhalten der Dunklen Materie in unterschiedlichen Größenordnungen zu finden. Alle Erklärungsversuche sind bis jetzt gescheitert oder führten zu weiteren unlösbaren Widersprüchen.
Einer internationalen Forschungsgruppe, darunter Professor Lucio Mayer von der Universität Zürich, ist es nun gelungen, mit einer aufwändigen Simulation das Rätsel zu lösen.
Simulation der Standardmaterie
Mayer und seine Kollegen simulierten die Entstehung von scheibenförmigen Zwerggalaxien. Anders als ihre Vorgänger modellierten sie nicht das allein durch die Gravitation gesteuerte Verhalten der kalten Dunklen Materie, sondern erstmals das hochkomplexe Verhalten der baryonischen Materie, wie die normale, sichtbare Materie auch genannt wird.
Dunkle Materie macht in einer Galaxie mit 83 Prozent zwar den Löwenanteil aus, wird aber, wie die Wissenschaftler jetzt aufzeigen konnten, von der baryonischen Materie ebenfalls beeinflusst. Dank hoch auflösenden Simulationen, die den Einsatz von verschiedenen Supercomputern, darunter eines Nasa-Supercomputers erforderten, konnten Mayer und seine Kollegen im Modell nachweisen, dass bei einer Supernova-Explosion nicht nur Gase, sondern auch kalte Dunkle Materie aus dem Zentrum der Galaxie geschleudert werden.
Bei Supernova-Explosionen werden mit einem Schlag große Mengen an normaler, sichtbarer Materie aus dem Zentrum der Galaxie entfernt: Dies führt dazu, dass sich die Dunkle Materie stärker ausdehnt, ihre Dichte abnimmt und sich folglich die Rotationsgeschwindigkeit der Zwerggalaxie verringert. Damit entsprechen sich erstmals mit dem CDM-Modell simulierte und natürliche Zwerggalaxien – der scheinbare Widerspruch zum Modell ist somit aufgelöst und die „kalte-Dunkle-Materie-Katastrophe“ erklärbar geworden.
Wichtige Konsequenzen für Astro- und Teilchenphysik
Die neuen Erkenntnisse werden nach Angaben der Forscher Konsequenzen für die Teilchenphysik und einige der Methoden haben, um Dunkle Materie-Partikel zu detektieren. So beruht unter anderem der Ansatz, diese mittels ihrer Zerstrahlung in Gammastrahlung nachzuweisen, auf der Dichte der Dunklen Materie im Zentrum von Galaxien.
Die Simulation sagt nun aber im Zentrum von Galaxien eine wesentlich geringere Dichte an Kalter Dunkler Materie voraus als bisher angenommen. Die erwarteten Strahlungssignale dürften deshalb deutlich schwächer als erwartet ausfallen und entsprechend weitaus sensiblere Detektoren erfordern.
Und auch Mayer wird das Thema „Entstehung von Galaxien“ in Zukunft begleiten: Einer seiner Mitarbeiter ist bereits damit beschäftigt, die Entstehung von Scheibengalaxien mit einem sphärischen, zentralen Sternhaufen zu modellieren.
(idw – Universität Zürich, 14.01.2010 – DLO)