Ein internationales Wissenschaftlerteam hat wichtige Lücken im Baum des Lebens geschlossen. Den Forschern ist es gelungen, 56 Genome von „ganz normalen Bakterien“ zu sequenzieren und diese auf dieser Basis einzuordnen. Die Wissenschaftler haben ihre Ergebnisse jetzt in „Nature“ veröffentlicht. Bisher galt das Forschungsinteresse vor allem den Bakterien, mit denen der Mensch den Kontakt bewusst wahrnimmt: den Krankheitserregern.
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Die bakterielle Vielfalt ist gigantisch groß – aber sie hält sich gern versteckt. Bis heute ist kaum ein Prozent aller Mikroorganismen im Labor kultiviert und beschrieben worden. Bei Genomsequenzierungen waren klinisch und biotechnologisch relevante Keime lange Zeit die unangefochtenen Spitzenreiter. Dabei ist es in der Welt der Mikrobiologie wie im wirklichen Leben: da warten nicht nur Spielverderber und Verbrecher, sondern auch nette Nachbarn, fleißige Helfer, Sonderlinge und vor allem die ganz Normalen.
Mikrobielle Vielfalt im Visier
Forschern der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ) aus Braunschweig und des Joint Genome Instituts (JGI) in Kalifornien um Dr. Hans-Peter Klenk ist es zu verdanken, dass über letztere jetzt auch mehr bekannt ist. Sie haben eine „Genomic Encyclopedia of Bacteria and Archea“ (GEBA) begonnen und die Genome von 56 ganz normalen Bakterien entschlüsselt. „Mit unseren Sequenzierungen kommen wir dem wahren Spektrum der mikrobiellen Vielfalt einen entscheidenden Schritt näher“, so Klenk.
Markerstücke entscheiden über Stammbaum-Einordnung
Bakterien werden bislang nur anhand kleiner molekularer Markerstücke – der ribosomalen 16S RNA – in evolutionäre Stammbäume eingeordnet. Soll ein neues Bakterium eingeordnet werden, sequenziert man das Markermolekül und vergleicht seine Übereinstimmung mit vorhandenen Daten. Je nach Position im 16S-Stammbaum kategorisieren die Forscher die Bakterien dann als sehr eng oder nur lose miteinander verwandt.
Das deutsch-amerikanische Forscherteam hat nun festgestellt, dass diese Methode zwar nicht perfekt ist, aber dennoch gut geeignet scheint, um Neuentdeckungen näherungsweise einzuordnen. Trotzdem gilt laut Klenk: „Vollständige Genomdaten sind immer aussagekräftiger.“
1.700 neue Genfamilien entdeckt
Die Sequenzierung ganzer Genome stillt nach Angaben der Forscher nicht nur das entwicklungsgeschichtliche Interesse. Mit jeder Totalsequenzierung finden die Forscher neue Gene. In den 56 Genomen haben sie beispielsweise mehr als 1.700 neue Genfamilien mit bisher unbekannter Funktion entdeckt. Das liegt vor allem daran, dass die Wissenschaftler phylogenetisch breit angesetzt haben. In ihrer Studie weisen sie nach, dass eine rein zufällige Auswahl diese erstaunliche Vielfalt nicht zu Tage gefördert hätte.
Die neuen Genfamilien sind aus Sicht der Forscher ein reichhaltiger Schatz, der nun Schritt für Schritt von Wissenschaftlern weltweit gehoben werden kann. Denn die Daten aus dem GEBA-Projekt sind im Portal „GenBank“ hinterlegt und kostenfrei zugänglich.
(idw – DSMZ – Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen, 06.01.2010 – DLO)