Viele Sozialwissenschaftler setzen auf Laborexperimente, um mehr über die Beweggründe menschlicher Entscheidungen zu erfahren. Doch inzwischen ist ein Streit darüber entbrannt, wie übertragbar die so gewonnenen Daten sind. Jetzt jedoch haben sich zwei führende Ökonomen zu Wort gemeldet und in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Science“ eine Lanze für das Labor gebrochen. Aus ihrer Sicht lassen die Kritiker-Argumente ironischerweise nur eine Antwort zu: Mehr Laborexperimente müssten her, nicht weniger.
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Eines der einfachsten Laborexperimente ist das so genannte „Ultimatum-Spiel“. Damit lässt sich untersuchen, wie Menschen auf Fairness oder Unfairness reagieren. Die Teilnehmer werden zu Paaren zusammen gelost. Der Spielleiter stellt den Partnern nun eine gewisse Summe in Aussicht – beispielsweise zehn Euro. Einzige Voraussetzung: Die beiden müssen sich über die Verteilung einigen. Verhandelt wird dabei aber nicht: Spieler 1 darf einen Vorschlag machen – zum Beispiel „ich bekomme acht Euro, du zwei“ -, Spieler 2 kann nur zustimmen oder ablehnen. Wenn er zustimmt, bekommen beide ihr Geld. Wenn er ablehnt, gehen beide leer aus.
„Auge-um-Auge“-Prinzip
Würden sich Menschen rein rational verhalten, würde sich Spieler 2 auch noch mit einem Cent zufrieden geben – immer noch besser als nichts. Tatsächlich lehnt er geringe Angebote aber in aller Regel ab: Aus seiner Sicht sind sie so unfair, dass er die Vereinbarung lieber ganz platzen lässt. Dann profitiert Spieler 1 wenigstens auch nicht. Viele Ökonomen folgern daraus, dass es eine Art „Auge-um-Auge“-Prinzip gibt, nach dem Menschen handeln. Sie nennen dieses Verhalten „reziprok“.
Andere Wirtschaftswissenschaftler bezweifeln dagegen die Aussagekraft solcher Labordaten: Die Spielsituation sei zu künstlich, als dass sich die Ergebnisse auf reale Zusammenhänge übertragen ließen. Außerdem werden derartige Experimente meist mit Studenten durchgeführt. Das schränke ihre Aussagekraft weiter ein. Auch die geringen Geldbeträge, die im Labor meist bezahlt würden, seien nicht realistisch.
Mehr statt weniger
„Im Grunde genommen sprechen all diese Einwände aber nicht gegen Laborexperimente als solche“, betont Professor Armin Falk von der Universität Bonn. „Im Gegenteil, sie schreien geradezu nach mehr Experimenten. Denn dann kann man die Bedingungen systematisch variieren: Wie sieht es aus, wenn ältere Menschen spielen, wie, wenn Manager ins Labor geladen werden? Was ist, wenn im Spiel Hunderte oder gar Tausende von Euro zu gewinnen sind?“
Zum Ultimatum-Spiel gibt es übrigens Dutzende von Experimenten mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen. Das Ergebnis ist erstaunlich robust: Menschen reagieren zum Beispiel auch dann reziprok, wenn nicht zehn Euro zu verteilen sind, sondern 100 oder gar 1.000.
Gute Daten, schlechte Daten
Dennoch gibt es unter Ökonomen momentan einen scharf geführten Streit, ob sich anhand von Labordaten tatsächlich valide Aussagen treffen lassen. „Manche meiner Kollegen halten Resultate aus derartigen Experimenten per se für problematisch“, sagt Falk. „Aus ihrer Sicht sind die Ergebnisse von Feldexperimenten leichter übertragbar.“
Dabei habe gerade die Feldforschung eine eklatante Schwäche, argumentieren Falk und sein Kollege und Wirtschaftsnobelpreisträger James J. Heckman in ihrem Science-Artikel: Da sich die Rahmenbedingungen nicht so gut wie im Labor kontrollieren ließen, seien Aussagen über kausale Zusammenhänge viel schwieriger.
„Wenn ein Autohersteller die Löhne erhöht und dann feststellt, dass nun mehr Pkw vom Band rollen, besteht dazwischen nicht unbedingt ein ursächlicher Zusammenhang“, betont Falk. „Es gibt in einem Unternehmen einfach zu viele Parameter, die ebenfalls einen Einfluss haben können. Im Labor können diese Parameter kontrolliert werden.“ Auch die Frage der Übertragbarkeit sei kein spezifisches Problem von Labordaten, sondern gelte für alle empirischen Verfahren.
„Ein Treppenwitz“
„Im Grunde ist die Ablehnung von Laborexperimenten ein Treppenwitz, der zum Beispiel für Naturwissenschaftler nicht nachvollziehbar wäre“, urteilt Falk. „Sie sind im Gegenteil ein sehr wichtiges Instrument, um etwas über die Beweggründe ökonomischer Entscheidungen zu erfahren.“ Es gebe aber keine empirische Königsdisziplin. „Wir brauchen in den Sozialwissenschaften alle empirischen Methoden – Experimente, Befragungen und Felddaten. Jede davon hat ihre spezifischen Vor- und Nachteile. Die Kunst besteht darin, die für die jeweilige Fragestellung geeignetste Methode zu wählen.“
(idw – Universität Bonn, 23.10.2009 – DLO)