Einen neuen Vorschlag zur Bewältigung des Klimaproblems hat gestern der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) vorgestellt. Das Prinzip des so genannten Budgetansatzes ist einfach: Für jedes Land wird ein „Kohlendioxid-Konto“ eingerichtet, das die Größe der Bevölkerung und die bereits erfolgten Emissionen der Vergangenheit berücksichtigt.
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Für Industrieländer heißt das, dass sie wegen ihrer hohen Emissionen bereits so viel „abgebucht“ haben, dass ihr Budget bald überzogen sein wird und durch Transferleistungen an die Entwicklungsländer erst wieder aufgefüllt werden muss – vor allem durch den globalen Emissionshandel. Zugleich sollte laut dem neuen Gutachen das Zwei-Grad-Ziel völkerrechtlich anerkannt werden. Dieses sieht eine Begrenzung der Erderwärmung in diesem Jahrhundert um zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit vor.
Emissionsfreie Wirtschaftsweise bis 2050?
Der WBGU zeigt auch auf, welche Schritte notwendig sind, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Der Beirat fordert eine eindeutige Trendumkehr – Peaking – bei den globalen Kohlendioxid-Emissionen bis 2020. Eine weitgehend emissionsfreie Wirtschaftsweise soll bis 2050 umgesetzt werden (maximal ein bis eineinhalb Tonnen pro Kopf und Jahr).
Mit dem Budgetansatz können nach Ansicht der Wissenschaftler die im Dezember in Kopenhagen stattfindenden Klimaverhandlungen zum Erfolg geführt werden. „Der Budgetansatz ist einfach, transparent, gerecht und soll der internationalen Klimapolitik als Orientierungsrahmen dienen. Er kann die Verhandlungen auf dem Klimagipfel wesentlich erleichtern“, sagte der WBGU-Vorsitzende Hans Joachim Schellnhuber gestern bei der Übergabe des Gutachtens an die Bundesregierung.
L’Aquila war ein wichtiger Zwischenschritt
Der Budgetansatz des WBGU orientiert sich am Ziel, die globale Erwärmung auf 2°C zu begrenzen. Die Bedeutung dieser so genannte „2°C-Leitplanke“ wurde im Juli in L’Aquila von den 16 führenden Wirtschaftsmächten anerkannt. Nach Ansicht des WBGU kommt es nach diesem wichtigen Zwischenschritt jetzt darauf an, diese Temperaturgrenze völkerrechtlich verbindlich zu vereinbaren. Dafür ist engagiertes und zielgerichtetes Handeln führender Staats- und Regierungschefs erforderlich.
Das Konzept im Einzelnen
Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass bis zum Jahr 2050 nur noch eine begrenzte Menge an Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangen darf, um einen gefährlichen Klimawandel zu vermeiden. Deswegen schlägt der WBGU eine globale Obergrenze für Kohlendioxid aus fossilen Quellen – Globalbudget – vor. Da jedem Menschen gleiche Emissionsrechte zustehen sollten, wird diese Menge Kohlendioxid gemäß der Bevölkerungsstärke auf die einzelnen Staaten verteilt.
Daraus ergeben sich nationale Emissionsbudgets, aus denen Reduktionsverpflichtungen für einzelne Staaten abgeleitet werden können. Verhandelt werden müssen bei dem vom WBGU entwickelten Verfahren nur noch wenige politische Parameter. Alle Staaten wären gefordert, auf der Grundlage der noch erlaubten nationalen Kohlendioxidmengen nachhaltige und überprüfbare Strategien für eine klimaverträgliche Wirtschaftsweise zu entwickeln. Die Industrieländer müssen aufgrund ihrer höheren Emissionen in der Vergangenheit die Entwicklungs- und Schwellenländer mit Finanz- und Technologietransfer dabei unterstützen.
„Weiter-so-wie-bisher“ führt in die Klimakrise
Dieser „Kassensturz“ vor der Klimakonferenz in Kopenhagen zeigt auch, dass sehr ehrgeizige Minderungsziele vereinbart werden müssen, die möglichst frühzeitig eine weitgehende Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und CO2-Ausstoß nach sich ziehen.
„Die Weltwirtschaft ist auf dem Weg in die CO2-Insolvenz. Für rund zwei Drittel aller Länder ist eine Weiter-so-Politik keine Option mehr. Um gefährliche Klimaänderungen zu vermeiden, müssen alle Staaten heute schon die Weichen für die Transformation in eine klimaverträgliche Wirtschaftsweise stellen. Das schließt auch Schwellen- und Entwicklungsländer mit ein. Die ganze Welt muss an einem Strang ziehen, um die Klimakrise zu überwinden“, so der stellvertretende WBGU-Vorsitzende, Dirk Messner.
Globaler Kohlendioxid-Ausstoß muss bis 2050 drastisch sinken
Bis zum Jahr 2050 dürfen global nicht viel mehr als 750 Milliarden Tonnen (Mrd. t) Kohlendioxid aus der Nutzung fossiler Energieträger ausgestoßen werden, um einen gefährlichen Klimawandel noch zu vermeiden. Gegenwärtig werden weltweit jährlich 30 Mrd. t Kohlendioxid produziert. Setzt sich der Kohlendioxidausstoß auf heutigem Niveau fort, wäre das Globalbudget daher schon in etwa 25 Jahren ausgeschöpft. Doch noch steigen die Emissionen von Jahr zu Jahr sogar weiter an. Der WBGU rät nun dringend dazu, spätestens ab 2020 zu weltweit sinkenden Emissionen zu kommen.
„Damit hat ein Wettlauf gegen die Zeit begonnen“, so Schellnhuber weiter. Eine weitere Verzögerung würde später so drastische Maßnahmen erforderlich machen, dass ein gefährlicher Klimawandel kaum noch zu verhindern wäre. Ein einmal erfolgter Klimawandel ist über viele Jahrhunderte nicht rückgängig zu machen.
Gordischen Knoten der Klimapolitik durchschlagen
Weil der Klimawandel rascher voranschreitet als bislang gedacht, steigt auch der Handlungsdruck auf die internationale Klimapolitik. Der bisherige schleppende Verlauf der Verhandlungen wird dieser Herausforderung nicht gerecht. Wahrscheinlich wird die Aushandlung eines neuen Klimaschutzabkommens noch komplexer und damit noch schwieriger als bisher. Dies liegt nicht zuletzt an der steigenden Zahl von Ländern, die Reduktionsverpflichtungen übernehmen müssen, um gefährliche Klimaänderungen noch zu vermeiden.
„Dieser gordische Knoten der Klimapolitik kann durchschlagen werden, wenn die Verhandlungen sich am neuartigen WBGU-Budgetansatz orientieren“, so Schellnhuber.
Rahmenbedingungen für eine klimaverträgliche Weltwirtschaft schaffen
Der WBGU zeigt, dass Klimapolitik einen Umbau zu einer klimaverträglichen Weltwirtschaft bedeutet und welche Rahmenbedingungen und Anreize dafür geschaffen werden müssen. Zusätzlich zur Festlegung von noch erlaubten CO2-Budgets für alle Länder sind der Ausbau eines globalen Emissionshandels, die Förderung von Technologiepartnerschaften sowie Kooperation zwischen Hoch- und Niedrigemissionsländern erforderlich. Zur Kontrolle dieser Mechanismen sowie der Dekarbonisierungsstrategien einzelner Länder soll eine Weltklimabank eingerichtet werden.
2°C-Leitplanke zur Vermeidung gefährlicher Klimaänderungen
Der WBGU hat bereits 1995 den Vorschlag gemacht, eine Obergrenze für eine noch akzeptable Erhöhung der globalen Mitteltemperatur zu benennen, die 2°C-Leitplanke, und davon ausgehend in einer Rückrechnung die notwendigen Emissionsreduktionen ermittelt. Der Budgetansatz des WBGU entwickelt diese Sichtweise weiter und macht sie anschlussfähig an die internationale Klimapolitik.
Trendumkehr wichtig
„Das WBGU-Gutachten zeigt erneut, wie wichtig eine Trendumkehr für den Klimaschutz in den nächsten Jahren sein wird“, sagte Professor Frieder Meyer-Krahmer, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), bei der Übergabe des Gutachtens an die Bundesregierung. „Bis 2050 muss die Wirtschaft in den Industrieländern weitgehend Kohlendioxid-neutral sein. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir emissionsarme Technologien in den Industriestaaten, aber auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Hierfür brauchen wir noch mehr Forschung und Innovation. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die vom BMBF initiierte Hightech-Strategie zum Klimaschutz, die ressort-übergreifende Initiativen im Bereich Klimaforschung bündelt. Durch Aktivitäten wie die Entwicklung klimafreundlicher Technologien in Innovationsallianzen, durch Elektromobilität oder Forschung für klima- und energieeffiziente Strukturen der Megastädte von morgen setzen wir hier bereits jetzt wichtige Impulse.“
Und Matthias Machnig, Staatssekretär im Bundesumweltministerium, ergänzte: „Ich halte den Budgetansatz für ein gutes Instrument, den Handlungsdruck deutlich zu machen und zu illustrieren, vor welchen Herausforderungen Industrie- wie Entwicklungsländer stehen. Der Ansatz verdeutlicht, dass Emissionsbudgets gerecht auf alle Staaten bzw. Bürger dieser Welt verteilt werden müssen. Ich halte den Budgetansatz aber gegenwärtig für nur schwer politisch durchführbar. Wir werden den Einstieg in anspruchsvolle Minderungen in Kopenhagen beschließen und beschließen müssen. Da bin ich wesentlich optimistischer als der WBGU.“
(WBGU/BMU, 02.09.2009 – DLO)