Nach einer HIV-Infektion verläuft die Zerstörung des Immunsystems und damit die Ausprägung von Aids bei verschiedenen Patienten unterschiedlich schnell. Ein internationales Forscherteam hat nun erstmals eine genetische Variante auf dem X-Chromosom identifiziert, die bei HIV-infizierten Frauen, aber nicht bei Männern, den Verlust von Immunzellen verlangsamt.
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Das humane Immundefizienz-Virus (HIV) infiziert und zerstört während seiner Vermehrung hauptsächlich CD4-Zellen, eine wichtige Komponente des Immunsystems. Die Geschwindigkeit der fortschreitenden Zellzerstörung kann bei verschiedenen Patienten stark variieren. In der Regel führt sie nach einigen Jahren zum Ausbrechen der Immunschwächekrankheit AIDS, kann sich aber um Jahrzehnte verzögern. Als Ursachen für den unterschiedlich schnellen Verlauf von der HIV- Infektion bis zur Aids-Erkrankung werden auch genetische Faktoren vermutet.
Erste Analysen an Rhesusaffen
Ein Forscherteam der Arbeitsgruppe Genomanalyse am Leibniz- Institut für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena hat, zusammen mit Kollegen des Deutschen Primatenzentrum in Göttingen (DPZ), der Christian-Albrechts- Universität zu Kiel sowie der Universität zu Köln nun einen solchen genetischen Faktor entdeckt. Die Wissenschaftler unternahmen ihre Suche an Rhesusaffen (Macaca mulatta) als eng mit dem Menschen verwandtes Tiermodell. Genetische Faktoren, die eine Virus-Infektion beim Rhesusaffen beeinflussen, sollten eine Entsprechung bei der HIV- Infektion des Menschen haben, so die Hypothese des Forscherteams.
„Am DPZ haben wir seit über 15 Jahren Proben von Rhesusaffen gesammelt, die an Immundefizienz-Viren erkrankt waren, und von uns sehr umfangreich charakterisiert worden sind“, erklärt die Immungenetikerin Ulrike Sauermann aus Göttingen. „Mit diesen einzigartigen Proben konnten wir im Genom von Rhesusaffen nach Veränderungen fahnden, die mit unterschiedlich schnellen Krankheitsverläufen einhergehen“, so der Kölner Humangenetiker Professor Peter Nürnberg.
Überraschung auf dem X-Chromosom
Bei diesen Untersuchungen wurden tatsächlich zwei relevante Genom-Regionen entdeckt. Eine davon liegt auf Chromosom 4 und umfasst Gene einer Immunantwort, die nach Virusinfektionen in Rhesusaffen und in Menschen aktiv wird. Die Entdeckung der zweiten Region, auf dem X-Chromosom der Rhesusaffen, erwies dagegen sich als echte Überraschung.
„In der fast 30-jährigen Geschichte intensiver HIV- und AIDS-Forschung war bislang kein Hinweis für die Beteiligung des Geschlechtschromosoms X am Krankheitsverlauf gefunden worden“, so der Genomik-Experte Matthias Platzer, Leiter der Jenaer Arbeitsgruppe. Seit längerem war allerdings bekannt, dass erstaunlicherweise bei manchen HIV- infizierten Frauen wesentlich weniger Viren und mehr überlebende CD4-Immunzellen gefunden wurden als bei infizierten Männern.
Langsamerer Verlauf bei Frauen
Um den Befund aus Rhesusaffen beim Menschen zu bestätigen, analysierte das Team die entsprechende Region des X-Chromosoms bei HIV-infizierten Patienten. „Mit der Zielvorgabe aus dem Tiermodell konnten wir tatsächlich eine vorteilhafte genetische Variante entdecken, die bei Frauen mit einem verlangsamten CD4-Zellverlust einhergeht“, unterstreicht der Kieler Medizin-Statistiker und Populationsgenetiker Professor Michael Krawczak.
Männer profitieren nicht
Eine zweite Überraschung war, dass Männer davon nicht profitieren. „Damit zeigen wir erstmals, dass die Variation nur eines Nukleotid-Bausteins, also ein „single nucleotide polymorphism“ (SNP), des Geschlechtschromosoms X mit einem verlangsamten Verlauf der HIV-Infektion bei Frauen einhergeht“, so der Molekulargenetiker Roman Siddiqui über seine erfolgreichen Arbeiten am FLI, die er am DPZ weiterführt.
Besonders häufig in Asien
Der SNP liegt zwischen zwei Genen in einer zwischen Mensch, Schimpanse, Rhesusaffe und Maus nahezu unveränderten Region des X-Chromosoms. Die wenig bekannten Funktionen dieser Gene werden nun daraufhin untersucht, ob und wie sie den verlangsamten Immunzellverlust nach HIV-Infektion verursachen und so das Erkranken an AIDS verzögern können. Bemerkenswerterweise ist die
„vorteilhafte“ SNP-Variante in Asien deutlich häufiger vertreten als in der afrikanischen und
europäischen Bevölkerung.
Während von den bislang untersuchten HIV-infizierten Patientinnen europäischer Herkunft nur etwa 20 Prozent den vorteilhaften SNP tragen, kommt dieser bei der Mehrheit der asiatischen Frauen vor. Mit den Erkenntnissen dieser im Rahmen des Nationalen Genomforschungsnetzes durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützten Studie eröffnen sich nun neue Wege, die Entstehung und Behandlung von Aids auch unter geschlechtsspezifischen Aspekten zu erforschen.
(Leibniz-Institut für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut e.V., 17.08.2009 – NPO)