Medizin

Deutsche viel zu optimistisch in Sachen Krebsfrüherkennung

Studie: Menschen schlecht informiert über Wirksamkeit

Europäer erweisen sich als mangelhaft informierte Optimisten in Sachen Krebsfrüherkennung – allen voran die Deutschen. Zu diesem verblüffenden Ergebnis ist jetzt die erste europaweite Studie zum Verständnis der Krebsfrüherkennung gekommen.

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Darin führten die Forscher des Harding Zentrums für Risikokompetenz zusammen mit der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK-Nürnberg) Interviews mit mehr als 10.000 Bürgern aus neun europäischen Ländern. Ihre Ergebnisse stellen sie in der aktuellen Ausgabe des „Journal of the National Cancer Institute“ vor.

Nutzen von Mammografie und PSA-Test überschätzt

Das Bundesministerium für Gesundheit hat die Stärkung der Patientensouveränität zum „nationalen Gesundheitsziel“ erklärt. Aber sind die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und Europa wirklich informiert genug, um kompetent entscheiden zu können? Was das Wissen der Europäer zum Nutzen der Krebsfrüherkennung angeht, so lautet der Studie zufolge die Antwort jedenfalls eindeutig: Nein, sie sind es nicht.

So fanden die Wissenschaftler heraus, dass 92 Prozent aller befragten Frauen den Nutzen der Mammografie als Mittel zur Vermeidung einer tödlich verlaufenden Brustkrebserkrankung überschätzen (oder gar keine Angaben dazu machen können). Und fast ebenso viele Männer versprechen sich zu viel vom PSA-Test im Hinblick auf eine Senkung des Risikos einer tödlich verlaufenden Prostatakrebserkrankung (oder bekennen ihr Unwissen zu diesem Thema).

Nur eine von 1.000 Frauen wird „gerettet“

Aber wie ist es tatsächlich um den Nutzen etwa der Mammografie bestellt? Frühere Untersuchungen haben ergeben, dass von 1.000 Frauen, die nicht am Screening teilgenommen haben, in einem Zeitraum von circa zehn Jahren etwa fünf an Brustkrebs sterben; bei einer zweiten Gruppe von ebenfalls 1.000 Frauen, die sich für die Früherkennung entschieden haben, verringert sich die Zahl auf vier.

In vielen Informationsbroschüren wird dieser Sachverhalt so dargestellt, dass die Mammografie eine Risikoreduktion um ein Fünftel ermögliche – mitunter werden auch 25 oder 30 Prozent angegeben. Häufig schließen Frauen daraus, dass durch Mammografie 200 von 1.000 Frauen „gerettet“ werden. Die jetzt präsentierte Studie zeigt jedoch: In Deutschland wissen gerade einmal 0,8 Prozent der Frauen, dass Früherkennung die Brustkrebssterblichkeit lediglich um etwa eine von je 1.000 Frauen reduziert – das ist europäischer Tiefstwert.

Deutsche „Prospekt-Europameister“

Dafür sind die Deutschen, Männer wie Frauen, nach den Erkenntnissen der Wissenschaftler so genannte „Prospekt-Europameister“: 41 Prozent der Befragten informieren sich häufig durch Broschüren von Gesundheitsorganisationen – der europäische Durchschnitt liegt hier bei 21 Prozent. Jene Deutschen, die solche Informationsquellen häufig zu Rate ziehen, sind aber keineswegs besser informiert als andere. Vielmehr überschätzen sie nach Angaben der Forscher den Nutzen der Früherkennung noch etwas mehr als jene, die die Broschüren nicht lesen.

Auch Menschen im Alter von 50-69 Jahren, die besonders gefährdet sind und daher die wichtigste Zielgruppe des Informationsmaterials darstellen, sind laut dem neuen Report keineswegs besser im Bilde als andere Altersgruppen.

Und noch einer weiteren Frage widmet sich die Studie: Sind Menschen, die häufiger Ärzte oder Apotheker konsultieren, besser über den Nutzen der Früherkennung informiert? Die Antwort darauf ist ebenfalls europaweit ein klares „Nein“. Insbesondere deutsche Frauen, die ihr Wissen zum Thema Früherkennung bevorzugt aus Gesprächen mit Ärzten und Apothekern beziehen, sind nicht etwa zu einer deutlich genaueren Einschätzung in der Lage, sondern zeigen sich schlechter informiert als andere, die sich weniger bei Ärzten oder Apothekern erkundigen.

Ärzte verstehen Studienergebnisse nicht

Wie schon frühere Studien des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung herausgefunden haben, liegen die möglichen Ursachen dafür im medizinischen Aus- und Weiterbildungssystem begründet. Dieses versagt weitgehend bei der Aufgabe Ärzte darin zu schulen, die statistischen Ergebnisse wissenschaftlicher Studien zu verstehen und zu vermitteln.

Und auch die Schulen lehren vornehmlich die „Mathematik der Sicherheit“, also Gebiete wie Algebra oder Trigonometrie, und vernachlässigen statistisches Denken ein, das auf den Umgang mit den Risiken einer unsicheren Welt vorbereiten könnte.

Gefahr von Folgeschäden

„Früherkennung birgt immer die Gefahr von Folgeschäden, wie zum Beispiel unnötige Operationen oder Inkontinenz. Um informiert entscheiden zu können, ob sie teilnehmen möchten oder nicht, müssen Patienten um den möglichen Nutzen der Früherkennung genauso wissen wie um potenzielle Schädigungen“, so Gerd Gigerenzer vom Harding Zentrum für Risikokompetenz zu den Ergebnissen der Studie.

Nach den vorliegenden wissenschaftlichen Studien liege der Nutzen des Mammografie-Screenings in der Altersgruppe von 50 bis 69 Jahren im Bezug auf tödlich verlaufende Brustkrebserkrankungen bei einer Reduktion um eine von je 1.000 Frauen. Für die Prostatakrebsfrüherkennung mit PSA-Tests liege er bei null oder einem von 1.000 Männern.

Mündige Patienten nur Illusion?

„Unsere europaweite Studie zeigt nun, dass die Menschen diese Zusammenhänge nicht kennen. Wenn wir mündige Patienten und kein paternalistisches Gesundheitswesen wollen, dann müssen wir genau hier ansetzen. Wir sollten – gerade in einem immer teurer werdenden System – die Menschen umfassend und präzise informieren und sie so in die Lage versetzen, notwendige Entscheidungen kompetent zu treffen“, betont Gigerenzer.

(MPG, 13.08.2009 – DLO)

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