Wissenschaftlern ist es erstmals gelungen, den Mechanismus des Alterns von Werkstoffen bei Hitze aufzuklären. Mithilfe eines Elektronen-Synchrotrons, einer Röntgenquelle der neuesten Bauart, beobachteten sie den Platzwechsel von Atomen im Festkörper und damit die allmähliche Aufhebung der gewünschten Atomverteilung. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift „Nature Materials“ veröffentlicht.
Viele Eigenschaften von Werkstoffen beruhen auf der Fremdatomen, die in einer bestimmten Verteilung im Atomgitter des Stoffs sitzen. Das Spektrum reicht dabei von der Festigkeit metallischer Gegenstände wie Essbesteck oder Automotoren bis zu Eigenschaften von Halbleitern in all den elektronischen Geräten, die wir unablässig benützen. Bei Umgebungstemperaturen von rund 20°C ist die Bewegung der Atome im Inneren eines festen Körpers normalerweise vernachlässigbar, die gewünschte Verteilung bleibt bestehen.
Altern durch Atomwanderung
Anders ist dies jedoch bei Temperaturen von 200°C bis 300°C. Viele Werkstoffe altern unter diesen Bedingungen schon innerhalb von Jahren. Dies geschieht, weil die Atome die ihnen „zugewiesenen“ Plätze über Diffusion wieder verlassen. Der Effekt dieses Alterns und die sich damit verschlechternden Materialeigenschaften beschäftigen die Wissenschaft schon lange. Die vorhandenen Methoden waren jedoch bisher nicht empfindlich genug, um die Details der Atombewegung aufzuzeichnen – dies war nur bei sehr hohen Temperaturen nahe dem Schmelzpunkt möglich, und selbst dann nur für einige wenige Elemente.
Platzwechsel einmal pro Stunde
Jetzt hat ein Forscherteam der Universität Wien unter Leitung von Gero Vogl in einem Experiment erstmals genau nachverfolgt, was sich bei diesem diffundieren von Atomen im Laufe der Zeit in einem Feststoff tatsächlich abspielt. Sie untersuchten dies anhand der zeitlichen Änderung der an einer Kupfer-Gold-Legierung gestreuten Röntgenstrahlung. Dabei zeigte sich, dass bei vergleichsweise niedrigen Temperaturen von 270°C jedes Atom etwa einmal pro Stunde von einem Platz zu einem anderen springt.
Röntgenlicht mit Lasercharakter
Der Durchbruch beruht auf einer spektakulären Eigenschaft der Synchrotron-Röntgenstrahlung. Diese unterscheidet sich von der normalen Röntgenstrahlung, wie sie zum Beispiel der Arzt einsetzt, durch die so genannte Kohärenz. Sie bewirkt eine Übereinstimmung der Wellenberge und Wellentäler der Röntgenstrahlung, wie sie bisher nur bei Laserlicht erzielt worden ist. Noch steckt die Ausnutzung
von Kohärenz bei Röntgenstrahlung in den Kinderschuhen: Sie erfordert die sorgfältige und aufwändige Präparation jenes Teils der Röntgenstrahlung, der letzten Endes tatsächlich „kohärent“ ist und damit „Laser-Charakter“ hat.
Zur Materialuntersuchung, nicht zuletzt zur Aufklärung der Strukturen von Proteinen und anderen Substanzen, die unsere Lebensprozesse ermöglichen, werden derzeit Röntgenlaser fertiggestellt, deren „Kohärenz“ tatsächlich fast vollkommen ist. Damit sollte es möglich sein, auch das von Vogl und
seinem Team entwickelte Messverfahren universell einzusetzen. Solch ein sogenannter Freie-Elektronen-Laser hat soeben in Stanford, USA, den Betrieb aufgenommen, ein zweiter – der europäische Röntgenlaser XFEL – wird seit einem Jahr in Hamburg, Deutschland, gebaut.
(Universität Wien, 27.07.2009 – NPO)