Das Element Selen beschleunigt die Aktivität von Enzymen, wenn es als Bindungspartner in deren aktivem Zentrum vorkommt. Das haben Biochemiker jetzt aus der Struktur eines selenhaltigen Enzyms geschlossen. Die Wissenschaftler berichten über die Ergebnisse ihrer neuen Studie in der aktuellen Ausgabe der „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS).
Selen kommt als Teil der Aminosäure Selenocystein in vielen Organismen vor, allein im menschlichen Körper in 25 Proteinen, die an Entgiftung, Spermatogenese und Schilddrüsenfunktion beteiligt sind. Anders verhält es sich beim Mikroorganismus Eubacterium barkeri, der Energie aus der Vergärung des Vitamins Nicotinat bezieht: Das hierfür zuständige Enzym NDH enthält Selen als essenzielle Komponente, aber nicht im Form von Selenocystein.
Wird das Selen entfernt, so vermindert sich die biokatalytische Aktivität des Enzyms. Worauf die Bedeutung des Selens bei der Fermentation des Substrats beruht, war bisher nicht bekannt.
Gärung kommt zum Stillstand
Forscher um Antonio Pierik von der Universität Marburg und Professor Holger Dobbek von der Universität Bayreuth haben nun durch röntgenkristallografische Strukturaufklärung nachgewiesen, dass Selen im aktiven Zentrum des NDH als Bindungspartner des Metalls Molybdän auftritt, als so genannter Ligand – im Unterschied zum verwandten menschlichen Enzym Xanthin-Oxidase, das Schwefel an Stelle des Selens trägt.
Aufgrund eines Vergleichs erschlossen die Wissenschaftler, welchen Vorteil Selen an dieser Stelle bietet. Bei schwefelhaltigen Enzymen kommt es zu einer vollständigen Inaktivierung, wenn der Schwefel durch Sauerstoff ersetzt wird. Die Biochemiker führen das darauf zurück, dass Sauerstoff sehr viel stärker an das Metall bindet als Schwefel.
Dies erschwert einen weiteren Reaktionsschritt, der für die Fermentation unerlässlich ist, nämlich die Übertragung eines negativ geladenen Wasserstoffions auf den Molybdän-Liganden – Konsequenz: Die Gärung kommt zum Stillstand.
Höhere Enzymaktivität
Da Selen noch schwächer bindet als Schwefel, ist die Enzymaktivität entsprechend höher. Modellrechnungen der Forscher zufolge findet die Umsetzung bis zu 300-mal schneller statt, wenn in einer ähnlichen Reaktion Selen anstelle von Schwefel benutzt wird, nämlich mehr als 400-mal pro Sekunde.
„Diese Variationen zeigen, wie die Natur ein Motiv durch Austausch eines Liganden an unterschiedliche Substrate und Reaktivitäten anpasst“, schreiben die Wissenschaftler in PNAS.
(idw – Universität Marburg, 10.07.2009 – DLO)