Neurobiologie

Formeln fordern das Gehirn stärker

Mathematik und natürliche Sprache werden grundsätzlich unterschiedlich verarbeitet

Die Figur zeigt Areale im menschlichen Hirn, die bei der Verarbeitung von korrekten hierarchischen Formeln aktiv sind © MPI für Kognitions- und Neurowissenschaften

Mathematik und natürliche Sprache werden in unserem Gehirn grundsätzlich unterschiedlich behandelt. Dies haben jetzt Max-Planck-Forscher in einer neuen Studie in der Fachzeitschrift „PLoS ONE“ gezeigt. Danach verarbeitet das menschliche Denkorgan die Syntax mathematischer Formeln bei weitem nicht so automatisiert wie die natürlicher Sprachen, sondern mit wesentlich höherem kognitivem Aufwand.

Nicht nur in der Forschung, sondern auch im Alltag unterscheiden wir zwischen natürlichen und formalen Sprachen. Auch wenn uns natürliche Sprachen auf den ersten Blick vertrauter vorkommen, begegnen wir formalen Sprachen – wie beispielsweise Programmiersprachen oder mathematischen Formeln – nicht viel seltener. Beiden Sprachformen liegt eine Grammatik zugrunde – insofern sind sie strukturell miteinander verwandt.

Begrenzter Zeichenvorrat

Wenn a kleiner b und b kleiner c, dann a kleiner c: Obwohl uns diese Formel mit einer mathematischen Syntax konfrontiert, also einer rein formalen Beziehungen zwischen ihren Zeichen, die selbst ohne konkrete Inhalte oder Zahlenwerte sind, ist ihre Aussage verständlich. Sie ist ein typisches Beispiel für formale Sprachen.

Eine formale Sprache zeichnet unter anderem aus, dass sie aus einem begrenzten Zeichenvorrat, dem Alphabet, eine beliebige Anzahl von Ausdrücken bilden kann. Den einzelnen Zeichen werden dabei per Definition – abhängig vom jeweiligen Anwendungsgebiet – Bedeutungen zugewiesen. Dadurch sind diese Sprachen hochgradig effektiv, da sie keinen Raum für Missverständnisse bieten – im Gegensatz zu historisch gewachsenen natürlichen Sprachen.

Mathematisch anmutende Ausdrücke kreiert

Wissenschaftlern am Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften um Roland Friedrich und Angela D. Friederici ist es nun gelungen, herauszufinden, wo und wie formale Sprachen im Gehirn verarbeitet werden. Erstmalig hat man somit die menschlichen Hirnaktivitäten während der Verarbeitung einer formalen Sprache, wie sie im heutigen Alltag immer häufiger vorkommt, lokalisiert.

Für die Studie kreierte der Mathematiker Friedrich Formeln auf Basis einer gängigen formalen Sprache 1. Ordnung, die Buchstaben und mathematische Zeichen enthielt. Daraus bildete er mathematisch anmutende Ausdrücke, die gleich lang aber unterschiedlich komplex waren, jedoch allesamt bedeutungsfrei blieben. Nur so ließen sich die Hirnaktivitäten zur Verarbeitung der syntaktischen Struktur zweifelsfrei lokalisieren.

Kognitive Prozesse im Gehirn beobachtet

Korrekte und inkorrekte Formeln wurden den Probanden in der üblichen (horizontalen) Schreibweise mit der Aufgabe präsentiert, sie zu lesen und zu überprüfen. Danach sollten sie entscheiden, ob das Gezeigte formal richtig oder falsch gebildet worden war. Mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT), mit der sich die Aktivität einzelner Hirnregionen registrieren lässt, wurden dann jene kognitiven Prozesse im Gehirn beobachtet, die diese Aufgabe bei den Probanden auslöste.

Vorhergehende Studien zur neuronalen Verarbeitung mathematischer Formeln waren stets mit konkreten Zahlenwerten durchgeführt worden und hatten Aktivierungen besonders im intraparietalen Sulcus (IPS) gezeigt, weshalb dieser Region der „Zahlensinn“ zugeschrieben wurde.

„Uns interessierte aber vor allem, wie die neuronale Verarbeitung beispielsweise von mathematischer Syntax ohne eine zugehörige Semantik funktionieren kann – wie wir also entscheiden können, ob mathematische Formeln grundsätzlich korrekt sind, ohne dass wir ihre Variablen z. B. durch Zahlenwerte ersetzen müssten“, erklärt Friedrich.

Aktivitäten in verschiedenen Hirnregionen aufgedeckt

Die fMRT-Aufnahmen bei dieser Studie zeigten verstärkt Aktivitäten in verschiedenen Hirnregionen: im intraparietalen Sulcus (IPS), im linken inferioren frontalen Gyrus (IFG) sowie in Gebieten, die um das eigentliche Sprachzentrum, das Broca-Areal, herum lagen.

Die Aktivität im IPS war für die Forscher besonders überraschend, da frühere Studien hier den Zahlensinn lokalisiert hatten, die im Versuch von Friederich und Friederici verwendete formale Sprache jedoch vollständig auf konkrete Zahlen verzichtete. Die Wissenschaftler schließen daraus, dass natürliche Sprachen das Broca-Areal aktivieren, während formale Sprachen zusätzlich solche Gebiete aktivieren, die vor allem in Denksportaufgaben involviert sind.

(MPG, 15.06.2009 – DLO)

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