Einwandernde Arten können Ökosysteme zerstören, Nahrungsketten aus dem Gleichgewicht bringen und die Dienstleistungen der Ökosysteme für den Menschen einschränken. Jetzt haben Ökologen erstmals begonnen, diese Schäden zu beziffern. In einer Studie in der Online-Ausgabe des Fachjournals „Frontiers in Ecology and the Environment“ sind die Arten aufgelistet, die die Umwelt am meisten schädigen und deren Bekämpfung am teuersten ist.
Zu den Top-Eindringlingen gehören nach Angaben der Wissenschaftler die Kanadagans, die Wandermuschel, der Bachsaibling und die Beifußambrosie, aber auch die Nutria und der Riesenbärenklau.
Wirken im Verborgenen
„Die Auswirkungen vieler Eindringlinge bleiben unbemerkt. Unser Leben hängt aber von den Dienstleistungen ab, die die Natur durch Arten bereitstellt“, erklärt die Leiterin der Studie, Montserrat Vilà von der Estación Biológica de Doñana im spanischen Sevilla. „Die Anwesenheit – und oft auch die Dominanz – von zugewanderten Arten kann viele ökologische Auswirkungen haben, die Veränderungen in den Ökosystemdienstleistungen hervorrufen. Diese Veränderungen können unumkehrbar und so bedeutend sein wie jene durch den Klimawandel oder durch Umweltverschmutzungen.“
Vilà und ihre Kollegen präsentieren nun Ergebnisse für über 10.000 gebietsfremde Arten, deren Existenz in Europa nachgewiesen ist. Dazu nutzten sie Daten aus dem Forschungsprojekt DAISIE – Delivering Alien Invasive Species Inventories for Europe -, das von der EU 2005 in Auftrag gegeben wurde, um gebietsfremde Arten sowie deren ökologische und ökonomische Auswirkungen quer über Europa zu erfassen. Für 1.094 Arten sind ökologische und für 1.347 Arten ökonomische Auswirkungen dokumentiert. Von den europäischen Meeresgebieten ist, so die Wissenschaftler, die Nordsee am stärksten betroffen.
Dominoeffekt in der Nahrungskette
Ökosystemdienstleistungen werden in der Studie in vier Kategorien eingeteilt: unterstützende Dienstleistungen wie Wasser- und Energiekreisläufe, bereitstellende Dienstleistungen wie durch die Bestäubung von Nahrungspflanzen, regulierende Dienstleistungen wie Wasserfilterung sowie kulturelle und ideelle Dienstleistungen wie Erholung und Ästhetik.
Vilà und ihre Kollegen haben eine Liste mit 100 gebietsfremden Arten zusammengestellt, die die größten Auswirkungen in den meisten Kategorien haben. Dazu gehören beispielsweise die Wandermuschel, die Beifußambrosie und die Nutria. Landwirbeltiere verursachen dabei die größte Bandbreite an Auswirkungen, die oft Auswirkungen in allen Kategorien der Ökosystemdienstleistungen zeigen. „Viele Landwirbeltiere sind Räuber, deren Einschleppung einen Dominoeffekt in der Nahrungskette auslöst“, sagt Vilà.
Im Gegensatz dazu haben terrestrische Wirbellose wie Insekten oder Spinnen den kleinsten Bereich an Auswirkungen, richten aber die größten finanziellen Verwüstungen an. Vilà betont, dass terrestrische Wirbellose die größten Schäden für die Land- und Forstwirtschaft verursachen. Das sind Bereiche, in denen bereits etablierte Methoden existieren, um die Kosten der Nahrungs- und Holzproduktion zu bestimmen.
Gefährliche Krebse, Spinnen und Insekten
Die Forscher schätzen die jährlichen Verluste durch fremde Gliederfüßer, zu denen unter anderem Krebstiere, Spinnen und Insekten gehören, allein in der Landwirtschaft Großbritanniens auf 2,8 Milliarden Euro. Die Kosten für eine Bekämpfung der 30 am weitesten verbreiteten Unkräuter durch Herbizide würden dort jährlich über 150 Millionen Euro betragen, so die Wissenschaftler weiter.
In Deutschland dagegen verursachen 20 der wichtigsten gebietsfremden Tier- und Pflanzenarten jährlich Kosten von etwa 156 Millionen Euro, so grobe Schätzungen des Umweltbundesamtes von 2003. Zum Beispiel hat die sporadische Massenvermehrung der Chinesischen Wollhandkrabbe in deutschen Gewässern seit 1912 zu Schäden zwischen 73 und 85 Millionen Euro geführt. Dem gegenüber stehen Verkaufserlöse aus dem Export der Tiere von drei bis fünf Millionen Euro zwischen 1993 und 2004.
Die Wissenschaftler zeigen in ihrem Report auch die gebietsfremden Arten auf, die die größten finanziellen Aufwendungen ausgelöst haben für deren Kontrolle und Bekämpfung. Unter den teuersten Eindringlingen sind die Wasserhyazinthen (3,4 Millionen Euro), die Nutria (2,8 Millionen Euro) und eine Meeresalge (8,2 Millionen Euro).
Gesundheit in Gefahr
Viele Invasoren verursachen zudem noch andere Probleme. So beeinflussen etwa 100 der gebietsfremden Wirbellosenarten die Gesundheit von Mensch oder Tier. Stechende Insekten wie sieben Mückenarten können beispielsweise Krankheiten wie Malaria übertragen. Über die Hälfte der 47 eingeführten Fadenwürmer sind Parasiten oder lösen Krankheiten aus, die von Tieren auf Menschen übertragen werden können.
Potenzielle Gesundheitsrisiken gehen auch von zwei Spinnenarten aus America (Loxosceles spp) sowie der Rotrückenspinne aus Australien aus. Verschiedene Pflanzen produzieren Pollen, die Allergien auslösen können. Lediglich für die Beifußambrosie gibt es bisher Schätzungen zu den Kosten: 2003 schätzte das Umweltbundesamt diese auf jährlich etwa 32 Millionen Euro. Im Rahmen des Forschungsprojektes INVASION wollen Forscher des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung – UFZ in den nächsten Monaten diese Daten aktualisieren und präzisieren.
Fehlendes Wissen
Das Hauptproblem beim Management gebietsfremder Arten ist nach Angaben der Forscher das fehlende Wissen. Die Studie zeigt, dass in Europa lediglich die ökologischen und ökonomischen Auswirkungen von zehn Prozent der invasiven Arten bekannt sind. Dazu kommt noch, dass Europa im Vergleich zu den USA bei der Bestandsaufnahme dieser Arten hinterherhinkt.
„Die Ergebnisse von DAISIE sind ein wichtiger Anfang“, sagt Marten Winter, einer der beiden UFZ-Forscher in dieser Mammutstudie. „Aber es fehlt noch viel an Wissen, um die Auswirkungen von biologischen Invasionen in ihrer Gesamtheit einschätzen zu können. Wir müssen also unbedingt weiter forschen.“ Denn erst wenn die Wissenschaftler übergreifende Konzepte für die Merkmale solcher Arten hätten, könnten sie bessere Vorhersagen für künftige Schäden machen.
Der Kampf gegen biologische Invasionen
Vilàs Team regt an, dass verschiedene existierende Bewertungsmethoden für invasive Arten in den USA ein guter Beginn für ein Inventar des Nordamerikanischen Kontinents sein könnten, die gut mit der DAISIE-Datenbank koppelbar wären. „Wir müssen die bestehenden Informationen über Arten und Regionen hinweg abstimmen“, betont Vilà. „Erst dann werden wir in der Lage sein, Institutionen zu schaffen, um die Vorsorge und die Bekämpfung der Auswirkungen von biologischen Invasionen bereichsübergreifend anzupacken.“
(idw – Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, 22.04.2009 – DLO)