Beim Lernen und Erinnern spielt das Eiweiß Neurotrypsin eine zentrale Rolle. Züricher Forscher haben jetzt gezeigt, wie im Zusammenspiel zwischen Neurotrypsin und dem Protein Agrin neue Synapsen entstehen können. Die Wissenschaftler stellen ihre Studie über die biochemischen Grundlagen des Lernens in der aktuellen Ausgabe der Wissenschaftszeitschrift „Cell“ vor.
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Professor Peter Sonderegger vom Biochemischen Institut der Universität Zürich beschäftigt sich mit der Frage, wie wir lernen und das Gelernte speichern können. Die Antwort liegt im Verständnis des Phänomens der synaptischen Plastizität. Nervenzellen tauschen ihre elektrischen Signale an Kontaktstellen, den so genannten Synapsen, aus.
Durch die synaptische Signalübertragung zwischen den Nervenzellen entstehen elektrische Schaltkreise, welche die Grundlage liefern für die informationsverarbeitenden Funktionen des Gehirns. Beim Lernen und für die Speicherung des Gelernten werden elektrische Schaltkreise des Gehirns durch verschiedene Prozesse verändert.
Neue Synapsen entstehen
Dem Team um Sonderegger ist es nach 15 Jahren intensiver Forschung gelungen, einen Regulationsmechanismus der synaptischen Plastizität auf biochemischer und struktureller Ebene aufzuklären. So konnten er und seine Mitarbeiter zeigen, wie das Eiweiß Neurotrypsin dazu beiträgt, dass nach intensiver Aktivierung bestehender Synapsen die Bildung neuer Synapsen eingeleitet wird.
Menschen, denen das Protein Neurotrypsin aufgrund eines genetischen Defekts fehlt, haben zwar normale Organ- und Muskelfunktionen, sind aber geistig schwer behindert. Obwohl ihr Gehirn anatomisch normal aussieht, können diese Menschen weder sprechen noch lesen lernen oder einfache praktische Tätigkeiten ausüben. Diese schwerwiegenden Ausfallerscheinungen zeigen die essentielle Rolle von Neurotrypsin für Lernen und Gedächtnis.
Mechanismus für Langzeitgedächtnis
Die Untersuchungen im Sonderegger-Labor zeigen nun, wie Neurotrypsin seine unentbehrlichen Funktionen entfaltet. Im gesunden Gehirn führt der Impuls einer aktiven Nervenzelle zur Ausschüttung von Neurotrypsin an den Synapsen. Nur wenn auch die nachfolgende Nervenzelle aktiv ist, kann Neurotrypsin mit einem weiteren Eiweiß, dem Agrin, interagieren und es spalten.
Das unter anderem entstehende kurze Agrin-Fragment bewirkt seinerseits die Bildung von so genannten Filopodien. Diese fingerartigen Ausstülpungen der Zelle gelten als Vorläufer von Synapsen. Durch die spezifische Kommunikation zweier aktiver Nachbarzellen werden also an der Synapse biochemische und zelluläre Prozesse in Gang gesetzt, die letztendlich zu neuen Synapsen und damit zu einer strukturellen Veränderung der neuronalen Schaltkreise führen können.
Das Neurotrypsin-Agrin-System fungiert dabei quasi als „Koinzidenzdetektor“, das heißt es wirkt wie ein Sensor, der die zeitgleiche Aktivität zweier verknüpfter Nervenzellen signalisiert. Vermutlich ist dieser Mechanismus besonders wichtig für die Ausbildung und den Unterhalt von Langzeitgedächtnisleistungen.
Weitere Forschung geplant
Auch in Zukunft wird sich das Team um Sonderegger mit dem Phänomen des Lernens und der langzeitigen Speicherung der Gedächtnisinhalte beschäftigen. Es wird in einem nächsten Schritt versuchen, den Mechanismus noch detaillierter zu verstehen und weitere Interaktionspartner des Neurotrypsin-Agrin-Systems zu identifizieren. Zudem wollen die Forscher die spezifische Rolle des Neurotrypsin-Agrin-Koinzidenzdetektors für die Stabilisierung von Lerninhalten in verschiedenen Gedächtnissystemen ergründen.
(idw – Universität Zürich, 20.03.2009 – DLO)