Neurobiologie

Naschsucht verändert das Gehirn

Ratten zeigen suchttypische Gehirn- und Verhaltensänderungen

Schokoladentorte © IMSI MasterClips

Dass Zucker süchtig macht, hört man immer mal wieder. Jetzt aber haben Forscher in Versuchen an Ratten weitere Indizien dafür zusammengetragen, dass es sich bei der Naschsucht wirklich um eine klassische Sucht mit allem was dazu gehört handelt: Heißhunger, Entzugserscheinungen und viele Rückfälle.

Professor Bart Hoebel und sein Team von Neurowissenschaftlern der Princeton Universität sind der „Zuckersucht” seit Jahren auf der Spur. Sie haben bereits aufgedeckt, dass Raten im Versuch zumindest zwei von drei Merkmalen einer Sucht aufweisen, wenn sie einmal an Süßes gewöhnt werden: Sie essen immer mehr davon im Laufe der Zeit und sie zeigen Entzugserscheinungen. In ihrem neuesten Experiment ging es ihnen darum herauszufinden, ob Ratten auch das dritte Merkmal der Sucht, das erhöhte Verlangen nach Süßem und die Rückfälligkeit aufweisen.

Verpasstes „Frühstück“ löst Fressattacke aus

„Wenn extremes Süßigkeiten naschen wirklich eine Form der Sucht ist, dann sollte es langanhaltende Effekte in den Gehirnen von Zuckersüchtigen geben”, erklärt Hoebel. „Heißhunger und Rückfälle sind entscheidende Komponenten einer Sucht.“ Im Experiment gewöhnten die Wissenschaftler Laborratten zunächst an Zuckerwasser, entzogen es ihnen dann aber während des Schlafs und für vier Stunden nach dem Aufwachen.

Es zeigte sich, dass die Versuchstiere den Verlust zu kompensieren versuchten, indem sie nach der Entzugsphase besonders viel zu sich nahmen. „Es ist ein bisschen wie das Verpassen des Frühstücks”, erklärt Hoebel. „Als Folge essen sie schnell was und trinken eine Menge Zuckerwasser. Das ist das, was auch Fressattacke genannt wird – wenn man eine Menge auf einmal isst. In diesem Fall war es eine zehnprozentige Zuckerlösung, was einen Softdrink entspricht.“

Alkohol als Ersatzdroge

Nach der Entzugsphase war die Motivation, nach Zuckerwasser zu suchen oder es sich zu erarbeiten offenbar angestiegen. In weiteren Versuchen strengten sich Ratten auf Entzug stärker an als die Kontrollratten, um als Belohnung für eine Aufgabe Zuckerwasser zu erhalten. „In diesem Fall weckt Abwesenheit das Verlangen“, so Hoebel.

Als die Forscher den Ratten auf Entzug als Ersatz auch in Wasser verdünnten Alkohol zur Verfügung stellten, tranken sie davon deutlich mehr als normale, nicht zuckersüchtige Tiere. Nach Ansicht von Hoebel deutet dies darauf hin, dass im Gehirn suchttypische Veränderungen stattgefunden haben müssen, die auch anderen Süchten den Weg ebnen.

Naschsucht verursacht Umbau im Gehirn

Tatsächlich entdeckten Hoebel und sein Team bei ihren Ratten auch eine konkrete Veränderung im Hirnstoffwechsel: Wenn die hungrigen Tiere Zuckerwasser tranken, wurde in der Region des Nucleus Accumbens der Botenstoff Dopamin freigesetzt. Er gilt als chemisches Signal, das zunächst Motivation und bei Wiederholung im Laufe der Zeit Sucht auslöst. Dies zeigte sich bei den Rattenhirnen nach rund einem Monat Zuckerwasser-Überfluss in Form von Anpassungen an den konstanten Dopamin-Einstrom. Es fanden sich weniger Dopamin-Rezeptoren im Gehirn und dafür mehr Opioid-Andockstellen. Ähnliche Veränderungen hatten die Forscher zuvor auch bei Ratten beobachtet, die nach Kokain oder Heroin süchtig waren.

Entzugserscheinungen nach Dopaminabfall

Auch die in den Experimenten beobachteten Anzeichen von Entzugserscheinungen stehen nach Ansicht der Forscher in Zusammenhang mit dem Dopaminstoffwechsel im Gehirn: Wenn den Ratten das Zuckerwasser vorenthalten wurde, sanken die Konzentrationen des Dopamins im Gehirn stark ab und als Folge veränderte sich das Verhalten der Tiere: Ihre Zähne klapperten und sie weigerten sich, den offenen Arm eines Labyrinths zu betreten. Ratten erkunden normalerweise gerne ihre Umgebung, doch die Ratten „auf Entzug“ waren plötzlich zu ängstlich, einen Schritt hinaus zu wagen.

Ähnliche Veränderungen auch beim Menschen?

Aber was sagen diese Versuche an Ratten über die Wirkung des Zuckers beim Menschen aus? Lassen sich die Ergebnisse so einfach übertragen? Nach Ansicht von Hoebel muss erst noch weitere Forschung erfolgen, bevor die Bedeutung für den Menschen klar wird. Dennoch kann er sich einen ähnlichen Mechanismus beispielsweise bei Menschen mit Essstörungen vorstellen:

„Es erscheint möglich, dass die Veränderungen im Gehirn und im Verhalten, wie sie bei unseren Ratten zutage traten, auch bei einigen Personen mit Essattacken oder Bulimie auftreten“, so Hoebel. „Unsere Arbeit liefert Verbindungen zwischen den traditionell definierten Drogensüchten und der Entwicklung von anormalem Verlangen für natürliche Substanzen. Dieses Wissen könnte uns dabei helfen, neue Wege für die Diagnose und Behandlung solcher Süchte in Menschen zu finden.“

(Princeton University, 02.01.2009 – NPO)

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