Neurobiologie

Sprache ohne Zahlen entdeckt

Amazonas-Stamm besitzt keine Wörter um Nummern auszudrücken

Piraha beim Zähltest © Edward Gibson

Im Regenwald des Amazonasgebiets haben Wissenschaftler einen Stamm entdeckt, dessen Sprache komplett ohne Zahlenwörter auskommt. Die Piraha können zwar zwischen „wenige“ und „mehr“ unterscheiden, besitzen aber keine Wörter für spezifische Mengen, wie die Forscher im Fachmagazin „Cognition“ berichten.

Es wird oft angenommen, dass das Zählen ein grundlegender Bestandteil der menschlichen Wahrnehmung und des Wissens ist. Doch offensichtlich geht es auch ohne, wie ein Team von Wissenschaftlern des Massachusetts Institute of Technology (MIT) bei Feldstudien im Amazonasgebiet Nordwest-Brasiliens feststellte. Hier leben die Pirahas, ein Naturvolk mit nur noch ein paar hundert Angehörigen.

„Wenige“ statt „eins“ oder „zwei“

Die Forscher um den Professor für Neurowissenschaften Edward Gibson bauten in ihrer Studie auf einem Experiment aus dem Jahr 2004 auf. Dabei hatten sie Stammesangehörige der Piraha gebeten, die Anzahl von vor ihnen liegenden Objekten zu benennen. Sie begannen dabei mit einem Gegenstand und legten nach und nach bis zehn immer einen dazu. Die Probanden nutzen zur Beschreibung der Menge drei Wörter, die augenscheinlich „eins“, „zwei“ und „viele“ bedeuteten.

Doch genau diese Wortbedeutung hat sich nun in einem neuerlichen Versuch als falsch entpuppt. Statt sie aufzustocken, verringerten die Wissenschaftler die Gegenstände von anfangs zehn auf am Ende nur noch einen. Zum großen Erstaunen der Forscher nutzten die Piraha das vermeintliche Wort für „zwei“ dabei bereits ab einer Anzahl von fünf oder sechs Objekten, das Wort „eins“ für Mengen unter vier.

Zahlenwörter nur bei Bedarf

„Das zeigt, das dies gar keine Zahlenwörter sind“, so Gibson. „Stattdessen handelt es sich nur um relative Mengenangaben. Wir haben hier eine Gruppe von Menschen, die nicht zählt. Sie könnten es lernen, aber in ihrer Kultur ist es nicht notwändig, daher haben sie es niemals entwickelt.“ Zahlenwörter sind demnach kein inhärenter Bestandteil der Sprache, sondern ein Konzept, das bei Bedarf „erfunden“ wird.

Auch wenn die Pirahas das erste Beispiel weltweit für eine Sprache ohne Zahlwörter liefern, könnte es nach Ansicht des Forschers durchaus noch mehr solcher Sprachen geben, gerade auch unter denjenigen, von denen man annahm, dass sie nur die Zahlwörter „eins“, „zwei“ und „viele“ besitzen.

(MIT, 17.07.2008 – NPO)

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