Biologie

Leichtbauwerke nach dem Vorbild von Kieselalgen

Bioniker erforschen Planktonbauweise als Grundlage technische Konstruktionen

Die Kieselalge Arachnoidiscus spec. mit ihrer geometrischen Porenstruktur. © AWI

Was haben eine winzige, im Wasser schwebende Kieselalge und eine Eislaufhalle oder eine Radfelge gemeinsam? Möglicherweise bald mehr als wir denken. Denn Wissenschaftler haben sich nun zusammengetan, um gezielt die Bauprinzipien der Algen zu erforschen und auf dieser Basis technische Kontruktionen zu optimieren.

Bionik ist ein spannendes Gebiet: Fachübergreifend versuchen dabei Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen von der Natur nützliche Mechanismen auf die Technik zu übertragen . So war etwa das Lotusblatt Vorbild für Fassadenfarbe, von der Dreck durch Regenwasser, wie Schlamm beim Lotusblatt, einfach abgewaschen wird. Völlig neue Wege müssen die Forscher jedoch gehen, wenn ihr Interesse Objekten gilt, die nicht mit dem menschlichen Auge sichtbar sind.

Am Alfred-Wegener-Institut (AWI) für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft ist unter Beteiligung der TU Berlin genau dafür nun das virtuelle Helmholtz-Institut PlanktonTech gegründet worden. Betreiben Forscher und Forscherinnen Grundlagenforschung an Diatomeen (Kieselalgen) und sammeln Erkenntnisse, die langfristig dabei helfen können, neue Baustoffe und Prinzipien für den Leichtbau zu entwickeln oder leichtere Autos zu bauen.

Perfekte ökonomische Konstruktion

Diatomeen sind der Hauptbestandteil des Meeresphytoplanktons. Charakteristisch für die meist einzelligen Algen ist ihr Außenskelett aus Siliziumoxyd, das wie zwei Schalen einer Petrischale zusammengefügt ist. Diese Schalen sind von Poren und größeren Öffnungen durchbrochen, es gibt auch kreisrunde Arten mit Schwebefortsätzen oder verstärkten Strahlen – ähnlich den Speichen einer Felge. Unter dem Rasterelektronenmikroskop offenbaren sich die symmetrische Vollkommenheit der Kieselalgen und ihre perfekte, ökonomische Konstruktion.

„Leider weiß man noch wenig über die Biomechanik der Diatomeen“, erklärt der Mathematiker Iván Santibáñez-Koref vom Fachgebiet Bionik und Evolutionstechnik der TU Berlin. Die Winzigkeit der Organismen macht es den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen schwer, sie über längere Zeit zu beobachten. „Die Biologen vom Alfred- Wegener-Institut haben sich größere Arten ausgesucht“, sagt Santibáñez-Koref. Coscindiscus wailesi misst immerhin etwa 0,3 Millimeter.

Von der Evolution zur Mathematik

Die Aufgabe des TU-Bionikers in dem Projekt besteht darin, mit der Methode der so genannten Evolutionsstrategie Möglichkeiten zur Nutzung des Bauplanes der Diatomeen für die Lösung technischer Aufgabenstellungen zu untersuchen. „Langfristig arbeiten wir an einem Werkzeug für die Auslegung von Leichtbaukronstruktionen“, sagt der Bioniker. Durch die Analyse der Biomechanik der Diatomeen, können auch Biologen die Stellung der Diatomeen in marinen Ökosystemen besser verstehen.

Im Prinzip überträgt die Evolutionsstrategie aus der Biologie bekannte Mechanismen (Selektion, Variation und Replikation) in mathematische Formeln und nutzt diese für die Optimierung komplexer Systeme. „Man geht davon aus, dass sich Organismen, die die knappen Ressourcen bestmöglich ausnutzten in der Natur durchsetzen“, erläutert Santibáñez-Koref. Sind diese Prinzipien einmal im Rechner erfasst, können am Computer Variablen des zu untersuchenden Systems verändert werden – abhängig von den verschiedenen Qualitätsansprüchen der Nutzer und Nutzerinnen.

Computergestützte Optimierung beschleunigt Entwicklung

„Auf diese Art haben wir bereits einen Schiffspropeller optimiert“, nennt er ein Beispiel. Die Entwicklung des neuartigen Propellers hätte Jahre länger gedauert, wenn die Bioniker und Bionikerinnen alle möglichen Varianten der Propellerflügelform als Modell bauen und einzeln im Wasser hätten testen müssen. Dieses Propellerkonzept war so neu, dass keine Erfahrungen zur Auslegung vorlagen. Das heißt, die Forscher und Forscherinnen konnten die Evolutionsstrategie für die Auslegung einsetzen, da bei deren Einsatz sehr wenig Vorwissen für die Lösung des Problems benötigt wird.

Ähnlich will Santibáñez-Koref nun mit den Kieselalgen verfahren. „Wir erhalten vom AWI, das über eine riesige Sammlung Diatomeen besitzt, 3-D-Modelle des Planktons, die als Ausgangsstruktur für die Optimierung dienen“, erläutert der wissenschaftliche Mitarbeiter. Im Anschluss käme dann, zur Anpassung an den Anwendungsfall, die Evolutionsstrategie zum Einsatz.

Am Ende des Projektes steht eine automatisierte Anwendung, die auf der Basis der Baupläne verschiedener Kieselalgen die neuartige Konstruktion von Bauteilen wie Radfelgen oder für ein leichtes, aber tragfähiges Gerüst einer Eislaufhalle liefern kann. Mit der Anwendung der an der TU Berlin gewonnenen Erkenntnisse werden sich dann andere Partner des virtuellen Institutes PlanktonTech befassen, etwa das AWI, das Institut für Textil- und Verfahrenstechnik Denkendorf oder das Leichtbauinstitut Jena.

(Technische Universität Berlin, 07.07.2008 – NPO)

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