Starke Säuren oder gelöste Metallsalze in hoher Konzentration bekommen weder uns Menschen noch einfacheren Lebensformen wie Bakterien. Die Gifte legen Proteine lahm, so dass alle biologischen Funktionen in den Zellen zum Erliegen kommen. Doch Ausnahmen bestätigen die Regel: Ein internationales Wissenschaftlerteam berichtet in der Fachzeitschrift „PNAS“ über ein neu entdecktes purpurrotes Enzym der Mikrobe Ferroplasma acidiphilum, das Säuren und gelöste Metalle sogar benötigt, um arbeiten zu können.
Die Wissenschaftlerin Olga Golyshina vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) hat das Archaebakterium Ferroplasma acidiphilum vor zehn Jahren entdeckt und ist seitdem seinen Geheimnissen auf der Spur. „Dieser Organismus ist an äußerst lebensfeindliche Umgebungen bestens angepasst. Er lebt bevorzugt in Säuren und Lösungen von Metall-Salzen. Unter normalen Bedingungen kann er gar nicht existieren“, beschreibt sie ihr Untersuchungsobjekt: „Vor kurzem hatten wir festgestellt, dass Ferroplasma einmalig in der Welt der Lebewesen ist, weil es Eisen in hoher Konzentration enthält. Jetzt wollten wir herausfinden, wie seine Proteine unter den extremen Bedingungen in Säure und Metall-Lösungen funktionieren.“
DNA-Ligase im Visier der Forscher
Dazu hat sich das HZI-Team gemeinsam mit Kollegen aus Spanien und Großbritannien eine so genannte DNA-Ligase ausgesucht. Enzyme dieses Typs spielen eine zentrale Rolle bei wichtigen Stoffelwechselprozessen wie dem Ablesen des Erbmaterials oder der Teilung der Zellen. Sie brauchen normalerweise sehr ausgeglichene Umweltbedingungen – auch die DNA-Ligasen der so genannten extremophilen Mikroorganismen.
Das sind Bakterien, die es bevorzugen, unter besonders unwirtlichen Bedingungen zu leben: in Säuren, Laugen, heißen Quellen oder im Eis. „Unsere DNA-Ligase aus Ferroplasma ist einzigartig“, stellt Golyshina fest: „Sie arbeitet auch in sehr saurer Umgebung bei niedrigem pH-Wert.“
Eisen färbt das Protein purpurrot
Doch das ist nicht alles, was Wissenschaftler an diesem Lebenskünstler überrascht: „Sämtliche DNA-Ligasen, die wir bisher kannten, enthalten kein Eisen, brauchen für ihre Funktion aber Magnesium und Kalium. Bei der DNA-Ligase aus Ferroplasma ist es genau anders herum – sie benötigt weder Magnesium noch Kalium, enthält aber Eisen. Das färbt unser Protein wunderschön purpurrot“, erklärt Golyshina.
Allerdings ist die Färbung weniger faszinierend als die Tatsache, dass Ferroplasma nicht in kürzester Zeit an den Eisen-Ionen zugrunde geht: Denn sie liegen in einer chemischen Form vor, die in anderen Zellen das Erbmaterial stark schädigt und Mutationen auslöst.
„Offensichtlich ist es ein Widerspruch, dass ein Enzym zur DNA-Reparatur Metall-Ionen enthält, die DNA schädigen“, sagt Projektpartner Professor Peter Golyshin, der am HZI und an der Bangor-Universität in Wales (GB) arbeitet. Er vermutet, dass die Gattung Ferroplasma ihre ökologische Nische bereits vor langen geologischen Zeiträumen erobert hat. Damals war die Erde noch sehr unwirtlich. Fast überall fanden sich Säuren und Metalle in gelöster Form.
„Ferroplasma hat diese Substanzen vermutlich in den Stoffwechsel eingebaut. Und als sein Lebensraum immer seltener auf der Erde wurde, hat es diesen nicht mehr verlassen“, sagt Golyshin.
Viele Anwendungsmöglichkeiten
Über den zukünftigen Nutzen der Erkenntnisse des Teams denkt Professor Ken Timmis, Leiter der HZI-Gruppe Umweltmikrobiologie, nach: „Enzyme braucht man für biotechnologische und biomedizinische Verfahrenstechniken. Oft sind die chemischen Bedingungen, unter denen diese Prozesse ablaufen, eher lebensfeindlich. Von Ferroplasma, seiner DNA-Ligase und anderen Enzymen können wir lernen, wie man die Reaktionspartner an solche Bedingungen optimal anpasst.“
Auch Anwendungen in der Medizin hält Timmis für möglich: „Das Wissen über die DNA-Reparatur in saurem Milieu könnte uns helfen, solche Effekte abzuschwächen, die bei einer Übersäuerung von Zellen auftreten und die die Tumorentstehung begünstigen.“
(idw – Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, 26.06.2008 – DLO)