Neurobiologie

Gehirn: Entscheidungen fallen zuerst unbewusst

Wissenschaftler entschlüsseln neuronalen Prozess der Entscheidungsfindung

Aus den grün markierten Regionen lässt sich die freie Entscheidung eines Probanden für einen linken oder rechten Knopfdruck vorhersagen. Dazu wird eine Mustererkennungs-Software darauf trainiert aus den mikro-Mustern der Hirnaktivität vorherzusagen wie sich der Proband entscheiden wird. Der früheste Vorhersagezeitpunkt liegt sieben Sekunden vor dem „gefühlten“ Zeitpunkt zu dem sich der Proband zu entscheiden glaubt. © Prof. Dr. John-Dylan Haynes

Schon etliche Sekunden bevor wir eine Entscheidung bewusst treffen, können erste Anzeichen der Absicht aus dem Gehirn ausgelesen werden. Dies zeigt eine neue Studie eines deutschen Wissenschaftlerteams. Die Forscher haben mithilfe der Magnetresonanztomographie Veränderungen im Gehirn untersucht, die einer bewussten Entscheidung vorausgehen.

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„Viele Prozesse im Gehirn laufen unbewusst ab – wir wären sonst schon mit alltäglichen Aufgaben der Sinneswahrnehmung und Bewegungskoordination völlig überfordert. Von unseren Entscheidungen aber glauben wir in der Regel, dass wir sie bewusst fällen. Diese Annahme ist mit unserer Studie in Frage gestellt“, sagt John-Dylan Haynes vom Bernstein Center for Computational Neuroscience Berlin in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Neuroscience. Zusammen mit Kollegen des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und der Charité – Universitätsmedizin Berlin hat er die aktuelle Studie durchgeführt.

Wo entstehen selbstbestimmte Entscheidungen?

Die Testpersonen konnten sich im Rahmen der Untersuchung frei entscheiden, ob sie mit der rechten oder der linken Hand einen Knopf betätigen. Anhand einer vor ihren Augen abgespielten Buchstabenfolge sollten sie anschließend angeben, zu welchem Zeitpunkt gefühlsmäßig ihre Entscheidung gefallen war.

Ziel des Experiments war es, herauszufinden, wo im Gehirn solche selbstbestimmten Entscheidungen entstehen und vor allem ob dies geschieht, bevor es uns bewusst wird. Ergebnis: Bereits sieben Sekunden vor der bewussten Entscheidung konnten die Wissenschaftler aus der Aktivität des so genannten frontopolaren Kortex an der Stirnseite des Gehirns prognostizieren, welche Hand der Proband betätigen wird.

Zwar ließ sich die Entscheidung der Studienteilnehmer nicht mit Sicherheit vorhersagen, die Häufigkeit richtiger Prognosen lag aber deutlich über dem Zufall. Dies deutet darauf hin, dass die Entscheidung schon zu einem gewissen Grad unbewusst angebahnt, aber noch nicht endgültig gefallen war. Nach der Vorbereitung des Entscheidungsprozesses im frontopolaren Kortex, werden die Informationen zur Ausführung der Tätigkeit und zur Festlegung des Handlungszeitpunkts in andere Hirnbereiche übermittelt.

Langer Untersuchungszeitraum

Mit ihrer Studie untersuchten die Wissenschaftler Situationen, in denen eine Entscheidung zu einem selbst gewählten Zeitpunkt stattfindet. „Bisher hat die Forschung in der Regel Prozesse betrachtet, bei denen der Proband sich sofort entscheiden muss. Viele interessante Entscheidungen erfolgen aber in einem eigenen, selbstgewählten Tempo“, erklärt Haynes.

Die lange Zeitspanne, die seine Untersuchung umfasst, ist beispiellos. „Normalerweise untersucht man die Hirnaktivität einer Person, während sie eine Entscheidung trifft und nicht schon Sekunden vorher“, sagt Haynes. „Dass selbstgewählte Entscheidungen vom Gehirn schon so früh angebahnt werden, hat man bisher nicht für möglich gehalten.“

Bereitschaftspotential gemessen

Schon vor über 20 Jahren ist es dem amerikanischen Neurophysiologen Benjamin Libet gelungen, ein Gehirnsignal, das so genannte „Bereitschaftspotential“ zu messen, das einer bewussten Entscheidung um einige hundert Millisekunden vorausgeht. Libets Experimente lösten eine heftige Debatte um die Willensfreiheit aus. Wenn Entscheidungsprozesse unbewusst ablaufen, so argumentierten einige Wissenschaftler, ist der freie Wille eine Illusion – das Gehirn entscheidet, nicht das „Ich“.

Andere hingegen bezweifelten die Aussagekraft der Daten, vor allem wegen der kurzen Zeitspanne zwischen Bereitschaftspotential und bewusster Entscheidung.

Gibt es einen freien Willen?

Da Haynes und seine Kollegen die Vorbereitung der Entscheidung über weit längere Zeiträume beobachteten, konnten sie diese Zweifel an Libets Experimenten nun aus dem Weg räumen. Einen endgültigen Beweis gegen die Existenz eines freien Willens sehen sie darin nicht.

„Nach unseren Erkenntnissen werden Entscheidungen im Gehirn zwar unbewusst vorbereitet. Wir wissen aber noch nicht, wo sie endgültig getroffen werden. Vor allem wissen wir noch nicht, ob man sich entgegen einer vorgebahnten Entscheidung des Gehirns auch anders entscheiden kann“, sagt Haynes.

(idw – Bernstein Centers for Computational Neuroscience, 14.04.2008 – DLO)

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