Auch Zugvögel verirren sich – aber nur in der Richtung, nicht in der Entfernung. Dies haben deutsche Wissenschaftler in einer neuen Studie entdeckt über die sie in der Fachbzeitschrift „Journal of Ornithology“ berichten.
Die Ornithologen und Ökologen der Universität Marburg, der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung hatten mehrere Tausend Meldungen von nach Europa verirrten asiatischen Vögeln aus den Familien der Laubsänger und Drosseln ausgewertet. Dabei stellten sie fest, dass die Entfernung zwischen den Brutrevieren im nördlichen Sibirien und den Überwinterungsquartieren im südlichen Asien häufig der Entfernung nach Europa gleicht.
Umso mehr sich diese Entfernungen ähneln und umso mehr Exemplare es von einer bestimmten Art gibt, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich ein solcher Vogel nach Europa verirrt, so die Wissenschaftler weiter. Die Körpergröße des Vogels spielt dagegen keine Rolle.
Wetter als Ursache?
Lange wurde vermutet, dass die Irrgäste durch Wettereinflüsse vom Weg abgekommen wären. Die neuen Erkenntnisse stützen dagegen die Hypothese, dass die verirrten Zugvögel durch einen Fehler im Ablauf des genetischen Zugprogramms in das falsche Überwinterungsgebiet geraten.
Da bei der Ausbreitung des Vogelgrippevirus H5N1 bisher noch viele Fragen ungeklärt sind, gewinnt die Untersuchung des Vogelzugs an Bedeutung. Experten halten eine Ausbreitung über Zugvögel aber für unwahrscheinlich und vermuten den internationalen Handel mit Geflügelprodukten als Ursache. Von Irrgästen geht jedenfalls die geringste Gefahr aus.
Auf die Größe kommt es nicht an
Bei ihrer Untersuchung zu Irrgästen in Europa werteten die Forscher für 38 Zugvogelarten die Körpermasse, die Flügellänge, die Größe des Brutgebietes, die Distanz zwischen dem Brut- und Überwinterungsgebiet sowie die Distanz zwischen dem Brutgebiet und Mitteleuropa aus. Als Quelle dienten die im „Handbuch der Vögel Mitteleuropas“ aufgelisteten und damit gut abgesicherten Nachweise seit dem Beginn der ornithologischen Aufzeichnungen bis Anfang der 1990er Jahre.
Acht Arten aus der Familie der Laubsänger und sechs Arten aus der Familie der Drosseln fielen dabei als Irrgäste auf. Besonders häufig wurde der Gelbbrauenlaubsänger (Phylloscopus inornatus) beobachtet, der in den Jahren 1836 bis 1991 rund tausendmal von ehrenamtlichen Ornithologen in Mitteleuropa gemeldet wurde. Diese Art brütet in der sibirischen Taiga südlich des Polarkreises und fliegt zum Überwintern in die Subtropen und Tropen Südostasiens. Die übrigen asiatischen Laubsängerarten wurden deutlich seltener oder überhaupt nicht in Mitteleuropa beobachtet. Dagegen tauchten gleich fünf Drosselarten mit knapp 100 Meldungen auf.
Vom Winde verweht?
Wenn Wettereinflüsse die Ursache für Irrgäste wären, dann müssten kleinere Vögel häufiger „vom Winde verweht“ werden als größere. Die Forscher konnten jedoch mit Hilfe statistischer Analysen keinen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit der Irrgäste und deren Körpergröße nachweisen. Zudem tritt der Gelbbrauen-Laubsänger viel zu regelmäßig auf, als dass für jede Beobachtung in Mitteleuropa ungewöhnliche Wetterverhältnisse auf dem Zugweg verantwortlich gemacht werden könnten.
Fehlprogrammierte Vögel
In Europa landen meist Arten, die in Asien ein großes Verbreitungsgebiet haben und so häufig sind wie hierzulande ihre Verwandten Zilpzalp und Fitislaubsänger. „Je mehr Exemplare es von einer Art gibt umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, das sich darunter ein ‚Fehlprogrammierter‘ befindet, der sich dann verirrt“, erklärt Jutta Stadler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle/Saale.
„Sie fliegen die Strecke nicht in die übliche, sondern in entgegen gesetzter Richtung und kommen so in Europa an. Deswegen haben wir hier relativ viele Irrgäste aus Asien.“
Zugprogramm „defekt“
Als Ursache vermuten die Forscher einen Fehler im Ablauf des genetisch verankerten Zugprogramms. Flugrichtung und Flugdauer werden von Generation zu Generation weiter vererbt. Der Vogelzug ist damit das Ergebnis eines genetischen Programms, mit dem sich Vogelpopulationen auf die Umweltverhältnisse eingestellt haben. Innerhalb weniger Generationen können sich die Zugvögel aber an veränderte Umweltbedingungen anpassen. Ihre Gene sorgen für die so genannte Zugunruhe, die die meisten von ihnen über Tausende Kilometer in die Überwinterungsquartiere führt.
Trotzdem war es lange Zeit ein Rätsel, weshalb sich einzelne Exemplare von bestimmten Arten immer wieder verirrten. „Dort kommt es einfach zu Fehlern im Ablauf des genetischen Programms, die dazu führen, dass der Vogel sozusagen statt nach rechts nach links abbiegt. Die Irrgäste sind mit Geisterfahrern auf der interkontinentalen Zugvogelautobahn vergleichbar.“, so Robert Pfeifer, Generalsekretär der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern.
Reise ohne Wiederkehr
„Man kann davon ausgehen, dass für es für den Großteil der Vögel eine Reise ohne Wiederkehr ist. Es gibt zwar Hinweise, dass einzelne Vögel versuchen, in Südeuropa zu überwintern, aber die Rückwanderung nach Asien schafft wohl keiner von ihnen. Wiederfunde beringter Vögel, die über deren Verbleib Auskunft geben könnten, gibt es nicht.“
Durch die neuen Forschungsergebnisse ist inzwischen auch klar, weshalb Vogelfreunde in Mitteleuropa stets nur Langstreckerzieher aus dem Fernen Osten Asiens als Irrgäste beobachten konnten. Für Kurzstreckenzieher aus Asien ist die genetisch programmierte Reise bereits irgendwo im westlichen Nordasien zu Ende.
(idw – Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, 10.04.2008 – DLO)