Die Augenlinse bündelt einfallende Lichtstrahlen auf die Netzhaut und ist damit ein entscheidender „Mitspieler“ beim Sehen. Ein Münchener Forscherteam hat nun einen Gendefekt entschlüsselt, der bei Mäusen für ungewöhnlich kleine Augen und eine unvollständig ausgebildete, getrübte Linse verantwortlich ist. Diese Ergebnisse lassen Rückschlüsse auf den Grauen Star beim Menschen zu, weil auch in diesem Fall der Linsenkörper seine Transparenz verliert.
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Die Entwicklung des Auges ist bei Säugetieren – und damit auch beim Menschen – ein außerordentlich komplexer Vorgang, der in einer frühen embryonalen Phase beginnt. Dazu gehört auch die Ausbildung der im gesunden Auge elastischen und transparenten Linse, die Lichtstrahlen fokussiert. Sie kann mithilfe des Ziliarmuskels ihren Krümmungsgrad verändern – und sich so auf unterschiedlich weit entfernte Objekte einstellen. Auf der Netzhaut entsteht dadurch ein scharf gestochenes Bild.
Verkümmerte Augäpfel
„Wie beim Menschen, so startet die Entwicklung der Linse bei der Maus mit der Ausbildung einer kugelförmigen, hohlen Blase“, berichtet Professor Dr. Jochen Graw vom Institut für Entwicklungsgenetik des Helmholtz Zentrums München. „Das ist das Linsenvesikel, dessen Hülle von dem Linsenepithel, einer Zellschicht, umgeben ist. Das Vesikel wird dann mit Faserzellen ausgefüllt. Im folgenden Entwicklungsverlauf entstehen am Linsenäquator weitere Fasern, die den Durchmesser der Linse vergrößern – ein Prozess, der ein Leben lang anhält.“
Anders aber bei so genannten Aey12-Mausmutanten, die die Augenforscher um Graw entdeckt haben. Die Tiere dieser Linie sind gekennzeichnet durch ungewöhnlich kleine Augen, eine Mikrophthalmia. Diese Fehlbildung ist auch vom Menschen bekannt und führt fast immer zur Blindheit. Sie entsteht häufig durch eine Verkümmerung oder Missformung der Augäpfel. Bei den Aey12-Mäusen ist aber nur die frühe Entwicklung der Augenlinse stark beeinträchtigt.
Wie die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Investigative Ophthalmology & Visual Sciences“ berichten, ist bei den mutierten Mäusen das Wachstum der Fasern, die den Linsenkörper ausfüllen, vollständig blockiert. „Übrig bleibt dann ein trübes und funktionsloses Linsenbläschen“, sagt Oliver Puk, der Erstautor der Studie. „Die Tiere büßen dadurch ihre Sehkraft nahezu vollständig ein.“
Defekt in einem bislang unbekannten Gen
Wie die Wissenschaftler zeigen konnten, liegt der Erkrankung ein Defekt in einem bislang unbekannten Gen zugrunde. Gene sind Abschnitte des Erbmoleküls DNA, die Baupläne für Proteine enthalten. Fehler in der Abfolge der Genbausteine können zu Proteinen mit eingeschränkter oder gänzlich verlorener Funktion führen – und damit im schlimmsten Fall zu schwerwiegenden Erkrankungen oder Entwicklungsstörungen. Das für die Fehlbildungen der Aey12-Mausmutanten verantwortliche Gen tauften die Neuherberger Augenforscher Gjf1. Es ist ein Mitglied der so genannten Connexin-Familie.
„Die zu dieser Gruppe gehörenden Gene enthalten die Information für den Aufbau von Kanalproteinen, die Zell-Zell-Verbindungen bilden“, so Graw. „Derartige Kanäle sind für den Stoffaustausch zwischen Zellen von großer Bedeutung – unter anderem auch zwischen den Faserzellen der sich entwickelnden Augenlinse.“
Kommunikation zwischen Linsenfasern gestört?
Die Wissenschaftler spekulieren nun, dass durch die neu gefundene Mutation die Struktur des Gjf1-Kanalproteins verändert und damit die Kanalbildung verhindert wird. Dadurch aber wäre die Kommunikation zwischen den sich entwickelnden Linsenfasern gestört. Denkbar wäre dann, dass für die Linsenentwicklung essentielle Signalmoleküle nicht mehr oder nur eingeschränkt ausgetauscht werden. Mangelhafte Zellkommunikation wäre diesem Szenario zufolge die Ursache des Abbruchs der Faserentwicklung – und letztlich der Trübung der ansonsten transparenten Augenlinse.
Genau dieses Phänomen lässt sich aber auch beim Grauen Star des Menschen, einer Katarakt, beobachten. Eine häufige Erkrankung, die meist im Alter auftritt: Alleine in Deutschland werden pro Jahr deutlich mehr als eine halbe Million Eingriffe vorgenommen, bei denen die getrübte und undurchsichtige Linse durch ein Implantat ersetzt wird.
„Unsere Ergebnisse werden sicher auch Einblicke in die Entstehung des Grauen Stars liefern“, meint Graw. „Außerdem kennt man bislang noch keine Mutation im menschlichen Pendant zum Gjf1-Gen der Mäuse. Das wird sich jetzt aber sicherlich bald ändern.“
(idw – Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, 03.04.2008 – DLO)