Paläontologie

Fledermäuse: Erst Fliegen, dann Echoortung

52,5 Millionen Jahre altes Fossil als Beleg für die Flight-first-Theorie

Onychonycteris finneyi © Royal Ontario Museum, Toronto (Canada)

Flogen sie zuerst oder erfanden Fledermäuse zunächst die Echoortung und schwangen sich dann in die Lüfte? Dazu gab es unter Wissenschaftlern unterschiedliche Hypothesen – bis jetzt. Denn nun hat der älteste Fledermausfund den seit Jahrzehnten dauernden Streit zugunsten der so genannten „Flight-first-Theorie“ entschieden.

Als fliegende Nachtjäger mit Echoortung liefern heutige Fledermäuse nicht nur die Vorlage für Geheimnis umwobene Geschichten, sondern nehmen auch eine besondere Stellung unter den Säugetieren ein. Lange Zeit wurde die Entwicklung dieser außergewöhnlichen Spezialisierung in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Dabei standen die Flight-first-Theorie, die Echolocation-first-Theorie und die Vermutung, dass sich diese, für die Tiere so typischen Fähigkeiten, simultan entwickelt haben als konkurrierende Hypothesen zur Debatte.

Die neuen in Nature vorgestellten Erkenntnisse eines internationalen Wissenschaftler-Teams zugunsten der Flight-first-Theorie stützen sich auf die morphologische Analyse von 52,5 Millionen Jahre alten Funden aus der Green River Formation in Wyoming (USA). Vergleichende Untersuchungen an den 47 Millionen Jahre alten Fledermäusen aus dem von Senckenberg betreuten deutschen Weltnaturerbe Grube Messel brachten weiteres Licht ins Dunkel der entwicklunsgeschichtlichen Vergangenheit. Aus den beiden eozänen Fundstätten stammen die weltweit ältesten, als komplette Skelette fossil überlieferten Fledermäuse.

Erweiterter Stammbaum der Fledermäuse

Das in Wyoming (USA) geborgene Fossil gehört zu Onychonycteris finneyi. Da die 2003 erstmals beschriebene Art aufgrund ihrer anatomischen Merkmale zwischen den Vergleichsgruppen bisheriger Funde liegt, wurde für diese und eine ebenfalls in Wyoming geborgenen fossile Fledermaus eine neue Familie mit der Gattung Onychonycteris im Stammbaum eingerichtet.

Röntgenaufnahme von Hassianycteris (fossile Fledermaus aus der von Senckenberg betreuten Weltnaturerbe Grube Messel). © Forschungsinstitut Senckenberg

Während der Artname „finneyi“ Bonnie Finney ehrt, die Entdeckerin des ersten beschriebenen Vertreters der neuen Familie, bezieht sich die Gattungsbezeichnung auf die langen ausgeprägten Krallen, die bei diesem Fund an zehn Fingern zu finden sind. Ein anatomisches Merkmal, das weder bei den Messel-Fledermäusen, Archaeonycteris und Hassianycteris, noch bei später entwickelten oder heutigen Exemplaren zu finden ist. Außer Onychonycteris weisen alle bekannten Fledermäuse lediglich zwei bis maximal vier Fingerkrallen auf. Vermutlich war dieser frühe Vertreter im Stammbaum der Fledermäuse ein geschickter Kletterer und hat – wie seine heutigen Nachfahren auch – kopfüber im Geäst gehangen.

Krallenfledermaus erbeutete Insekten im Flug

Onychonycteris finneyi ist als Beleg ein wesentliches Mosaiksteinchen in der Evolution der Fledermäuse. Mit kurzen Flügeln und erstaunlich langen Hinterbeinen, zwischen deren Zehen eine Flugmembran war, zeigt der Fund nach Angaben der Wissenschaftler Körperproportionen, die weder bei den heute vorkommenden vierfüßigen Säugetieren, noch bei modernen oder irgendeiner der bisher bekannten fossilen Fledermäuse zu finden sind. Das Flügelskelett wie auch die Form von Brustkorb und Schwanz lassen die Forscher zweifelsfrei darauf schließen, dass die bisher älteste Fledermaus aktiv und über lange Strecken hinweg fliegen konnte. Dass Onychonyctris finneyi vor 52,5 Millionen Jahren Insekten im Jagdflug erbeutet hat, lässt sich aus der Bezahnung des Neufundes schließen.

Echoortung mit Ultraschalllauten im Vergleich

Höchstauflösende Röntgenaufnahmen der Innenohrschnecken von Messel-Fledermäusen wie Archaeonycteris und Hassianycteris weisen – wenn auch weniger perfektioniert als bei den meisten heutigen Nachtjägern – auf eine bereits vor 47 Millionen Jahren ausgebildete Echoortung mit Ultraschalllauten hin. Die im Magenbereich nachgewiesenen fossilen Nahrungsreste zeigen zudem, dass die Vorfahren heutiger Fledermäuse sich ausschließlich von Insekten ernährt haben.

Auch wenn das Gebiss von Onychonycteris finneyi Rückschlüsse auf einen Insektenfresser zulässt, schließen vergleichende Mikro-Röntgenaufnahmen eine Echoortung von Beuteinsekten durch Ultraschalllaute für Onychonycteris aus, so die Forscher. Die bei dem Neufund knöchern erhaltenen Strukturen, wie die sehr kleinen Innenohren, die Form der Gehörknöchelchen und der schwache Aufhängeapparat des Kehlkopfes belegen bei dem bisher ältesten Fund die ansonsten so typische Spezialisierung späterer Fledermäuse, wie sie aufgrund von Untersuchungen bereits bei den fünfeinhalb Millionen Jahre jüngeren Messelfunden voraus gesetzt werden kann.

Fliegen kam zuerst

Die gewonnenen Erkenntnisse sprechen nach Ansicht der Wissenschaftler dafür, dass die Fledermäuse das Fliegen vor der Echoortung mit den für uns unhörbaren Ultraschalllauten „erfunden“ haben. Mit detailliert untersuchten anatomischen „Ausrüstung“ wäre Onychonycteris in der Dunkelheit höchstens eine grobe Hinderniserkennung und -vermeidung mit schwachen und „radartechnisch“ sehr primitiven Signalen möglich gewesen.

Wie immer bei solch sensationellen Funden, hoffen die an der Untersuchung beteiligten Wissenschaftler Nancy B. Simmons, Kevin L. Seymour, Jörg Habersetzer und Gregg F. Gunnell vom American Museum of Natural History, dem Royal Ontario Museum, dem Forschungsinstitut Senckenberg und dem Museum of Paleontology der University of Michigan auf weitere Exemplare. Zeitgleich zur Veröffentlichung des Nature-Artikels wird das Fossil am Forschungsinstitut Senckenberg mit einem speziellen Verfahren in einem Mikro-Tomographen untersucht, um weitere noch im Gestein verborgene Details zu identifizieren.

(Forschungsinstitut Senckenberg, 14.02.2008 – DLO)

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