Raumfahrt

„Wir haben nur dieses eine Mutterraumschiff Erde“

Interview mit ESA-Astronaut Hans Schlegel

Raumschiff Erde © NASA

Mit zweimonatiger Verspätung startet heute, am 7. Februar 2008, die Raumfähre Atlantis ins All, um das europäische Forschungslabor Columbus zur Internationalen Raumstation ISS zu bringen. Mit an Bord der deutsche Astronaut der Europäischen Weltraumagentur ESA Hans Schlegel und sechs weitere Astronauten. In einem Interview hat die Deutsche Bundestiftung Umwelt den Astronauten nach seinen Erfahrungen und Ansichten befragt.

Das im Rahmen dieser Mission ins All gebrachte Raumlabor Columbus dient als Mehrzwecklabor für die multidisziplinäre Forschung unter Schwerelosigkeit. Das 6,9 Meter lange und 4,5 Meter breite Labor wird der Hauptarbeitsplatz für die europäischen Astronauten sein, die Forschungen zu Material- und Lebenswissenschaften, Flüssigkeiten und neuen Technologien durchführen. An der Außenwand des Labors bieten Plattformen zudem Möglichkeiten für Experimente, die dem freien Weltraum ausgesetzt sind.

Im Vorfeld der Mission hat die Deutsche Bundestiftung Umwelt (DBU) den deutschen Astronauten Schlegel in einem Interview nach seinen Erfahrungen im Weltraum, aber auch seinen Ansichten zur Umwelt gefragt. Das Interview führte Taalke Nieberding.

Frage: Als Astronaut gehören Sie zu den wenigen Menschen, die die Erde aus einer besonderen Perspektive betrachten können: aus der Ferne. Verändert dieser Blick die Beziehung zum Lebensraum Erde?

Schlegel: „Ja, das tut er auf alle Fälle. Die meisten Menschen haben, wenn sie über Raumfahrt sprechen, die Fotos des Erdballs vor Augen, der sich vor der Schwärze des Universums abhebt. Diesen weit entfernten Blick haben wir nicht. Wenn wir in die niedrige Erdumlaufbahn gehen, ist das gerade mal 350 Kilometer hoch. Zwar 30 Mal höher als ein Verkehrsflieger und auch 30 Mal so schnell. Trotzdem sieht die Erde ganz ähnlich aus wie aus dem Flugzeug: Wir sehen den Horizont als relativ gerade Linie, nur ein bisschen gebogen erkennen wir die Erdkrümmung. Dann realisieren wir: Das ist Südafrika, über das wir gerade fliegen und es dauert nur acht Minuten. Nun folgen beim Flug über Indischen und Pazifischen Ozean 40 Minuten Wasser ohne Landmassen.

ESA-Astronaut Hans Schlegel © NASA/ESA

Das löst widersprüchliche Gefühle aus! Auf der einen Seite brauchen wir nur eineinhalb Stunden, um die ganze Erde zu umrunden, auf der anderen Seite zieht alles recht langsam vorbei. Man hat das Gefühl, die Erde sei unheimlich groß und andererseits doch nur sehr klein. Die Erdatmosphäre ist gerade mal fingerdick – also sehr dünn. Die Farbe der Erdatmosphäre geht von Dunkelblau ins Hellblau und dann ins Schwarz über. Es ist surreal. Wenn man das zum ersten Mal erlebt, ist das etwas, was sich mindestens genauso im Herzen oder im Bauch abspielt wie im Kopf.

Für mich ist die Erde ein Mutterraumschiff mit einer endlichen Atmosphäre, mit endlichen Ausmaßen. Von oben gibt es keine Grenzen: keine Sprachgrenzen, keine Religionen. Sie sehen relativ wenig Menscheneinfluss. Sie sehen nur eins: Die Erde in ihrer Verletzlichkeit, sehr diffizil, sehr filigran.“

1993 waren Sie schon einmal im Weltall. Das ist 15 Jahre her. Erwartet Sie im Februar ein anderes Bild von der Erde als damals?

Schlegel: „Ich war im letzten Jahrtausend das letzte Mal im Orbit, habe allerdings in der Zwischenzeit sehr vielen anderen Missionen und Astronauten geholfen zu fliegen. Indirekt habe ich also weitere Raumflüge erlebt. Ja, ich erwarte schon, dass ich Änderungen sehen werde. Ich denke, dass die Waldgebiete am Amazonas, die Waldgebiete auf Madagaskar deutlich kleiner geworden sind. Ich erinnere mich an das unglaubliche Bild der Flüsse dort: Sie waren dunkelbraun gefärbt. Da die Wälder dort abgeholzt wurden, wurde der Boden in die Flüsse gespült und färbte sie braun – auch das Delta, die Mündungsgebiete. Die braune Farbe reichte bis weit in den Ozean hinein! Das sind sehr bleibende Bilder. Ob ich so direkte Umweltveränderungen wiedersehe, weiß ich nicht.

Aber ich freue mich sehr darauf, noch mal die Erde aus der Entfernung zu sehen und die Schwerelosigkeit zu erfahren. Und dann haben wir auf unserem Flug eine Mission: Wir bringen das europäische Wissenschaftsmodul ‚Columbus’ in den Orbit zur internationalen Raumstation ISS. Das ist der Beginn der bemannten Raumfahrtforschung für Europa. Wir haben von da an Möglichkeiten – rund um die Uhr, jeden Tag im Jahr – Experimente in der Schwerelosigkeit durchzuführen. Ich hoffe, dass die wissenschaftliche Gemeinde in Europa diese Gelegenheit dazu nutzen wird, wegweisende erkenntnisbringende Forschungsergebnisse zu gewinnen!

Man kann sich gar nicht vorstellen, wie sehr die Schwerkraft uns auf der Erde prägt. Wie sehr sie in unser Denken spielt, aber auch in die Wahrnehmung von uns selbst und der Natur. Ein kleines Beispiel: Fische würden in der Schwerelosigkeit völlig desorientiert sein, weil der Auftrieb fehlt. Ihre Schwimmblase, das orientierungserkennende Organ, ist ohne Schwerkraft wirkungslos. Genauso geht es den Menschen. Wir müssen dort erst ein neues Lebensgefühl entwickeln: wie wir uns bewegen, wie wir atmen, wie wir essen, wie sich der Blutkreislauf in unserem Körper auswirkt.

Der Grund, warum wir in den Weltraum gehen, ist, wissenschaftliche Experimente durchzuführen. Um den Einfluss der Schwerkraft auf die Naturgesetze besser zu verstehen und um dies in Materialwissenschaften, Biologie oder Humanmedizin anzuwenden. Wissen und Verständnis, das wir mit zurück zur Erde bringen, nutzen wir hoffentlich nur dazu, die Natur im positiven Sinne zu beeinflussen!“

Werden im Forschungslabor Columbus Forschungen betrieben, von denen die Umwelt einmal profitieren wird?

Schlegel: „Davon bin ich überzeugt! Aber es ist keine direkte angewandte Forschung. Es ist die grundsätzliche Erkenntnis aus Experimenten über den Einfluss der Schwerkraft, den Einfluss von Strahlung, von dem Vakuum, in dem wir uns befinden. All das ist Grundlagenforschung auch in angewandter Richtung: wie ist unser biologisches Leben einzuordnen? Wie funktioniert es? Die Erde ist ein isolierter Planet, mit einer abgeschlossenen Erdatmosphäre. Sie ist nichts weiter als ein großes Raumschiff. Die Erde muss – genauso wie wir auf unserer Raumstation – mit Strom, Luft, Verunreinigung sehr genau umgehen.

Wir müssen jeden Abfall, den wir erzeugen, sehr gut wiederverwerten und uns darum sorgen, wie wir ihn verstauen. All das im Kleinen ist sofort im Großen auf die Erde zu übertragen. Wir haben endliche Ressourcen! Wir können es uns nicht leisten, sie zu verschwenden. Wir müssen die Probleme, die wir auf der Erde haben, zusammen angehen als eine Mannschaft – unabhängig von Religion, Staatsgrenzen oder politischer Zugehörigkeit! Denn wir haben nur dieses eine Raumschiff!“

Die UN hat 2008 zum Internationalen Jahr des Planeten Erde bestimmt – mit dem Untertitel „Earth science for society“. Auch steht das Jahr im Zeichen der UN-Naturschutzkonferenz, die im Mai über den Schutz der biologischen Vielfalt in Bonn berät. Sie selbst arbeiten international und ‚überirdisch’. Wie wichtig stufen Sie globales Handeln zum Schutz der Erde ein?

Schlegel: „Das ist für mich das A und O. Wir können in einem Land natürlich anfangen, aber unsere Natur macht nicht zwischen den Ländergrenzen halt. Wir leben auf einem Planeten. Wir müssen global denken und unsere Mitmenschen anregen, genauso global zu denken. Das ist die Voraussetzung, die wir als erstes schaffen müssen. Ganz wichtig ist es, Länder, die vielleicht andere politische oder wirtschaftliche Interessen haben, davon zu überzeugen, dass alles nationale, egoistische Denken in eine Sackgasse mündet. Wir müssen nationale Egoismen beiseite schieben. Dabei brauchen wir gar nicht so sehr an das Ideal der Menschen zu appellieren. Wir müssen einfach nur klar machen: Wenn wir nicht weltweit anfangen, kann es für keinen auf der Erde gut ausgehen.

Unsere bemannte Raumfahrt ist ein gutes Modell dafür. Wir bauen die Internationale Raumstation mit verschiedenen Ländern auf: frühere Blockgegner, Ost, West, die Amerikaner, die Russen, die Japaner, die Kanadier und siebzehn europäische Länder sind dabei! Es ist ein langwieriges Projekt. Die Planungen der ISS haben vor weit über 20 Jahren angefangen. Seit gut sieben Jahren sind wir fortwährend bemannt in der Erdumlaufbahn, immer ist eine internationale Mannschaft an Bord.

Nun kommen die Europäer dazu mit einem eigenen Forschungslabor. Wenige Monate nach uns werden die Japaner mit ihrem eigenen Forschungsmodul kommen. Wir alle hoffen und werden darauf hinarbeiten, dass wir die Internationale Raumstation über 2015 hinaus international nutzen können. Wir sind also ein Modell dafür, wie wir ein großes Problem – ein Projekt im internationalen Rahmen – gemeinsam meistern können.

Mein amerikanischer Kollege John Young, der schon auf dem Mond gewesen ist, sagte ganz einfach: ‚One planet species don’t last!’ Damit meint er, dass die Arten auf der Erde nicht überleben, wenn sie ihre Existenz nur auf einen Planeten beschränken. Wir haben gar keine andere Chance, als über unseren Gartenzaun hinwegzuschauen, wenn wir unsere Zukunft sichern wollen. Ich meine den sprichwörtlichen Gartenzaun. Wir in Deutschland, wir in Europa, wir auf der nördlichen Hemisphäre oder wir Industriestaaten, wir halten unseren Garten in Ordnung? Nein, nein!

Wir müssen sehen, dass wir als Erdgemeinschaft nur zusammen eine Chance haben, unseren Heimatplaneten in einer guten Verfassung zu halten und solange wie möglich auf ihm ein gesundes Gleichgewicht herzustellen zwischen Nutzung und Ausnutzung der Ressourcen! Wir müssen über den Gartenzaun, über unsere Erde hinaus schauen und sehen, wie Leben in der Schwerelosigkeit möglich ist. Können wir Leben transportieren von einem Planeten zum anderen? Von einem Sonnensystem zum anderen? Was sind die Grundlagen dafür, um später einmal eine Station, eine Zivilisation auf dem Mars aufzubauen? Denn das wird kommen und wir werden es brauchen!

Es ist auch wichtig zu schauen, was uns andere Menschen und Wissenschaftsgebiete lehren können, dass wir neue Gedanken aufgreifen und sie in unsere alte Welt, wie auch immer wir die definieren, mit aufnehmen. Genauso funktioniert Forschung, genauso funktioniert Fortschritt in der Zivilisation mit allen positiven und negativen Veränderungen. Ganz wichtig ist Offenheit über die eigenen Interessensgebiete und die eigene Nationalität hinaus.“

(Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU), 07.02.2008 – NPO)

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