Nahezu jedes Medikament hat auch Nebenwirkungen. Denn der Körper variiert die Wirkung von Medikamenten und körpereigenen Stoffen und reagiert manchmal auf unerwartete Weise. Warum dies so ist, das enthüllt jetzt eine in Nature Chemical Biology online veröffentliche Studie. Ihre Ergebnisse könnten nicht nur zum Verständnis bisher unaufgeklärter Wechselwirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten beitragen, sondern auch bei der Entwicklung neuer Medikamente helfen.
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Viele Hormone und Botenstoffe im Gehirn, aber auch Medikamente wirken im Körper über so genannte Rezeptoren, die an der Zelloberfläche liegen. Sie binden an diese und lösen so in der Zelle chemische Reaktionen aus. Besonders interessant sind die vielen Rezeptoren, die ihre Signale über so genannte G-Proteine ins Zellinnere schicken, da sie Angriffspunkt für viele Arzneimittel sind. Zu ihnen gehören Opioid-Rezeptoren, an denen Morphin zur Schmerzbekämpfung ansetzt, aber auch Rezeptoren, die im Herzen und Nervensystem zu finden sind und an denen Medikamente zur Behandlung von Bluthochdruck wirken.
Viele dieser Rezeptoren lösen im Körper nach Bindung der Medikamente andere oder zusätzliche Reaktionen aus als eigentlich biologisch zu erwarten wäre. Solche Effekte tauchen manchmal im Beipackzettel als Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen auf. Das Blutdruckmittel Clonidin wirkt beispielsweise auch schmerzhemmend und wird gegen die Symptome des Opiatentzugs eingesetzt.
Nachbar-Rezeptor reagiert mit
Wie es zu solchen Wirkungen kommt, dieser Frage sind Jean-Pierre Vilardaga und Martin Lohse vom Institut für Pharmakologie und Rudolf-Virchow-Zentrum/ DFG-Forschungszentrum nachgegangen. Sie zeigen, dass unterschiedliche Rezeptoren miteinander Paare bilden können. In einem solchen Rezeptorpaar, so fanden die Wissenschaftler nun heraus, ist immer nur einer von beiden aktiv: Wahrscheinlich verändert der „angeschaltete“ Rezeptor die Struktur des anderen so, dass dieser abgeschaltet wird. So reicht es, wenn in einem solchen Paar immer nur der eine der beiden „angeschaltet“ wird – welcher ist egal.
„Die Ergebnisse sind für uns sehr wichtig. Sie könnten nicht nur Nebenwirkungen erklären, sondern auch bei der Entwicklung kombinatorischer Medikamente eine große Rolle spielen“, sagt Professor Martin Lohse. So stehen Wissenschaftler beispielsweise schon lange vor dem Problem, dass Morphin nach einer längeren Schmerztherapie nicht richtig wirkt. Könnte man dann den gleichen Weg über den zweiten Partner im Rezeptorpaar aktivieren und damit den gleichen Effekt im Körper herbeiführen, so wäre das eine hervorragende Alternative zu einem seit langem ungelösten Problem.
Leuchtender Marker zeigt „Mit“-Wirkung
Die Wissenschaftler erhielten ihre Ergebnisse mit Hilfe der Fluoreszenz-Energie Transfer-Methode (FRET). Sie koppelten fluoreszierende Marker an Rezeptoren in lebenden Zellen. Die Marker senden Licht unterschiedlicher Farben aus, je nachdem, ob ein Rezeptor „angeschaltet“ ist oder nicht. So konnten die Wissenschaftler zeigen, dass zum Beispiel Morphin adrenerge Rezeptoren verändert, obwohl es selbst an diese Rezeptoren gar nicht bindet.
„Wenn sich Rezeptoren wirklich im lebenden Organismus direkt gegenseitig beeinflussen, so ergibt das ungeahnte Kombinationen“, bewertet Martin Lohse die Ergebnisse. Arzneimittel mit ganz neuen Eigenschaften ließen sich entwickeln, die man sich bisher nicht vorstellen könne. Um allen diesen Kombinationen näher zu kommen, müsse man jetzt herausfinden, welche Rezeptoren miteinander solche Paare bilden.
(DFG – Forschungszentrum für Experimentelle Biomedizin, 14.01.2008 – NPO)