Medizin

Grippe: Erste Pandemien bereits vor über 400 Jahren?

Historiker weist Influenza-Ausbrüche in der Frühen Neuzeit nach

Weltweite Grippe-Epidemien gibt es nicht erst seit der Erfindung des Flugzeugs. Doch die Geschichte der Influenza lag lange Zeit weitgehend im Dunkeln. Bis jetzt. Denn ein Saarbrücker Forscher hat mithilfe von neuen Quellen Grippe-Pandemien vor mehr als 400 Jahren nachgewiesen und gezeigt, wie sehr diese die weltgeschichtlichen Ereignisse beeinflussten.

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Man schreibt das Jahr 1580. Eine „newe“ schreckliche Krankheit breitet sich plötzlich und ohne Vorankündigung in rasender Geschwindigkeit aus: Von Osten her, aus Asien über Russland kommend, streckt das rätselhafte „epidemische Fieber“ europaweit Arm und Reich, Jung und Alt, Stark und Schwach binnen Tagen und Stunden nieder.

Starke Kopf- und Gliederschmerzen plagen die Leidenden, hohes Fieber und schwerstes Krankheitsgefühl. Die Zeitgenossen, deren Erinnerung an immer wieder aufkeimende Pestepidemien frisch ist, wissen die Krankheit nicht einzuordnen, wähnen sich aber angesichts der schweren Symptome in höchster Gefahr. „Bei der mysteriösen Krankheit handelt es sich um eine Grippe-Pandemie“, ist sich Wolfgang Behringer von der Universität des Saarlandes sicher.

Drei bis sechs weltweite Grippe-Ausbrüche pro Jahrhundert

Der Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit hat umfangreiche, teils neu erschlossene zeitgenössische Quellen ausgewertet, darunter die europaweit geführte Korrespondenz des Hans Fugger (1531 bis 1598) und die Briefe und Tagebücher des kaiserlichen Botschafters in Spanien Hans Khevenhüller (1538 bis 1606). Auch vor dem 16ten Jahrhundert, vermutet Behringer, habe es Grippe-Epidemien gegeben, die dünne Quellenlage aber lasse sichere Diagnosen etwa für das Mittelalter nicht zu.

In der Frühen Neuzeit von 1500 bis 1800 jedoch fand Behringer zahlreiche Belege für Grippe-Wellen, darunter auch viele Pandemien. „Im Schnitt gab es drei bis sechs weltweite Grippe-Ausbrüche pro Jahrhundert“, schätzt er. „Die Grippe mit ihren diffusen Symptomen wurde dabei regelmäßig als neue, unbekannte Krankheit wahrgenommen. Das plötzliche hohe Fieber und die enorme Schwäche jagte den Menschen großen Schrecken ein“, so Behringer.

Für die Pandemie von 1580 fand Behringer Belege in Italien, Spanien, Portugal, Frankreich, England, Deutschland und Böhmen. In Deutschland hielt sich die Grippe etwa drei Monate, beginnend ab Mitte Juli. Sie fand ihren Höhepunkt im September. Vor allem alte Menschen, Schwangere und Kinder fielen der Seuche zum Opfer.

Bedeutung der Pandemien größer als gedacht

Die Bedeutung der Grippe-Pandemien für die historischen Abläufe sei bislang unterschätzt, lautet Behringers Fazit. So sei etwa in Nürnberg der für August 1580 geplante und aufwändig vorbereitete Reichstag erst verschoben, dann abgesagt worden. „Hauptursächlich ist die schwere Erkrankung Kaiser Rudolf II. am Kaiserhof in Prag“, erklärt er. In Frankreich lagen beide Fronten der Hugenotten-Kriege danieder. Mit dem Frieden von Fleix wurden die Kämpfe unterbrochen. Zu den französischen Grippe-Kranken zählten auch Katharina von Medici und Heinrich III.

Als der spanische König Philipp II. erkrankte, habe die Welt den Atem angehalten. Er führte gerade sein Heer in einen Feldzug Richtung Portugal, mit dem Ziel, sein Imperium zum größten je existierenden Weltreich auszubauen. Philipps schwangere Ehefrau Maria Anna von Österreich starb.

Virtuelle Geschichte

„Der Tod des katholischen Philipps II. hätte die Weltgeschichte fundamental verändert; das spanische Weltreich, die Supermacht der Zeit, drohte mangels Thronfolger auseinander zu brechen wie einst das Reich Alexanders des Großen“, erläutert Behringer. Aber der König erholte sich: Portugal wurde annektiert und Philipp II. zog siegreich in Lissabon ein.

„Welche Entwicklung hätte Lateinamerika genommen? Welchen Verlauf die Religionskriege in Frankreich? Gäbe es den Katholizismus in Deutschland und Österreich noch? Oder die katholische Kirche überhaupt? – Solche Fragen klingen nach virtueller Geschichte, aber Hans Fugger und Hans Khevenhüller haben sie sich gestellt“, konstatiert der Historiker.

(idw – Universität des Saarlandes, 10.01.2008 – DLO)

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