Kultur im Sinne eines angelernten sozialen Verhaltens galt immer als eine Domäne des Menschen. Doch auch in Schimpansenkolonien gibt es echte Kultur. Das belegt eine jetzt in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ erschienene Studie. Sie widerspricht damit der bisher gängigen Lehrmeinung, solche pseudokulturellen Verhaltensweisen bei den Tieren wären genetisch basiert.
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„Wir wussten, dass es Verhaltensunterschiede zwischen Schimpansenkolonien gibt”, erklärt der Primatologe Stephen Pratt von der Universität Liverpool, Leiter der aktuellen Studie. „Aber keiner wusste warum. Es wurde angenommen, dass junge Schimpansen bestimmte Eigenheiten aufgrund der von ihren Eltern geerbten Gene entwickelten, aber Belege dafür gab es keine.“ Diese These einer rein genetischen Basis bestimmter Verhaltensweisen führte jedoch dazu, dass die meisten Forscher glaubten, Schimpansen hätten keine kulturelle Tradition, die der menschlichen vergleichbar wäre.
Um diese These genauer zu untersuchen, erstellte ein Team von Primatologen von der Universität von Liverpool eine Art Stammbaum für einige Verhaltensweisen von Schimpansenkolonien zwischen Ost- und Westafrika auf. So knacken einige Gruppen Nüsse mithilfe von Steinen, andere nahmen Holzstücke als Nussknacker. Im Laufe der letzen 100.000 Jahre haben sich diese unteschiedlichen Methoden über teilweise mehr als 4.000 Kilometer vom Osten immer weiter nach Westen ausgebreitet. Auch bei den Feinheiten der sozialen Fellpflege, des Groomens, gibt es verschiedene regionale Varianten.
Diesen Stammbaum der Verhaltensweisen verglichen die Forscher mit einem genetischen Stammbaum der untersuchten Kolonien und wurden vom Ergebnis überrascht: Denn entgegen ihren Erwartungen stimmten beide Stammbäume nicht überein. Im Gegenteil: Einige Schimpansenkolonien, die gleiche Verhaltensweisen aufwiesen, ähnelten sich genetisch überhaupt nicht, andere wiederum waren zwar genetisch eng verwandt, verhielten sich aber völlig anders.
Schimpansen-Kinder lernen das Nüsseknacken
Nach Ansicht der Wissenschaftler ist dies ein klarer Hinweis darauf, dass die Theorie von der genetischen Basis solcher Verhaltensweisen nicht stimmen kann. Offensichtlich gibt es unter Schimpansen sehr wohl eine echte kulturelle Tradition in Bezug auf bestimmtes Verhalten. Kinder lernen beispielsweise die spezielle Technik des Nüsseknackens von ihren Eltern, Schimpansen, die ihre Gruppe wechseln, sorgen dann für die Verbreitung solcher Tricks und Techniken auch in andere Kolonien.
„Das erklärt auch, warum einige Kolonien ähnliche Methoden nutzen um Nahrung zu finden, dabei aber bestimmte Verhaltensweisen so anpassen, dass sie für ihre spezielle Umwelt tauglich sind“, erklärt Lycett. „In diesem Sinne sehen wir zum ersten Mal, dass auch bei unseren engsten Verwandten eine echte Kultur existiert.“
(University of Liverpool, 10.01.2008 – NPO)