Die Tannenmeise lebt scheinbar streng monogam. Paare bleiben oft ein Leben lang zusammen. Doch alles nur Fassade: Weltweit gehört der heimische Singvogel zu den Top 10 unter den „Fremdgängern“. Das zeigt eine Studie von Biologen in der Fachzeitschrift Behavioral Ecology online. Besonders erfolgreich beim Seitensprung waren demzufolge ältere Tannenmeisen-Männchen: Sie zeugten erheblich mehr „Kuckuckskinder“ als ihre jüngeren Geschlechtsgenossen.
Die Wissenschaftler nahmen für ihren Report bei mehr als 200 Brutpaaren und ihren Nachkommen genetische Fingerabdrücke. So konnten sie bei 90 Prozent der Nestbewohner den leiblichen Vater identifizieren.
„Genetischer Fingerabdruck“
In einem niedersächsischen Nadelwald lebt Deutschlands wohl am besten untersuchte Tannenmeisen-Population – genauer gesagt im Emsland, ganz in der Nähe der Stadt Lingen. Wolfgang Winkel vom Institut für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland“ erforscht die hier lebenden Tannenmeisen seit Jahrzehnten. Viele der Vögel sind beringt, so dass ihr Alter genau bekannt ist. „Es ist schon eine außergewöhnlich gute Datenbasis, auf die wir zurückgreifen konnten“, erklärt der Evolutionsbiologe Tim Schmoll von der Universität Bonn.
Zusammen mit seinem Kollegen Professor Thomas Lubjuhn hat er untersucht, wie häufig Tannenmeisen fremdgehen – und welche Rolle dabei ihr Alter spielt. „Wir haben dazu in den Jahren 2000 und 2001 bei mehr als 200 Brutpaaren und ihren Nachkommen einen Vaterschaftstest vorgenommen“, erklärt er. Mit Hilfe eines „genetischen Fingerabdrucks“ gelang es den Forschern in neun von zehn Fällen, den Nestlingen ihren leiblichen Papa zuzuordnen.
Denn die Tannenmeise lebt nur scheinbar monogam. Die Partner bleiben zwar häufig Zeit ihres Lebens zusammen, und um den gemeinsamen Nachwuchs kümmern sich Papa und Mama gleichermaßen. Doch stammen die Jungvögel tatsächlich in jedem Fall vom Vater, der Brutpflege betreibt? Die genetischen Daten sprechen eine ganz andere Sprache: „Bei den Erstbruten im Mai ist knapp jeder dritte Nestling Resultat eines Seitensprungs, bei den Zweitbruten im Juni gar jeder zweite“, sagt Schmoll. „Mit den Zweitbruten zählen Tannenmeisen damit weltweit zu den Top 10 unter den ‚Fremdgängern‘!“
„Grünschnäbel“ zeugen weniger Kuckuckskinder
Älteren Männchen gelingt es erheblich häufiger als „Grünschnäbeln“, ihren Rivalen ein „Kuckuckskind“ unterzuschieben: In ihrem ersten Brutjahr zeugen männliche Tannenmeisen im Mittel nur 0,3 „außereheliche“ Nachkommen. In den darauf folgenden Jahren bringen sie es im Schnitt pro Brutsaison auf knapp zwei Jungvögel in fremden Nestern. Darüber vernachlässigen sie aber nicht etwa das eigene Weibchen, denn an ihrem „regulären“ Zeugungserfolg ändert das Wildern in fremden Revieren nichts.
„Wir haben unsere Studie in zwei unterschiedlichen Jahren durchgeführt, um zu sehen, ob unsere Beobachtungen reproduzierbar sind“, erläutert Schmoll. „Der Alterseffekt ist sehr ausgeprägt und robust. Allerdings dürften für den Erfolg als ‚Fremdgänger‘ noch weitere Faktoren wie Gesang, Gefiederschmuck oder sozialer Rang von Bedeutung sein.“
Wann ist turteln erlaubt?
Doch warum kommen die Älteren unter den Tannenmeisen beim Seitensprung häufiger zum Zuge? Liegt es daran, dass Weibchen eher bei älteren Verführern schwach werden als bei jüngeren? Wer lange überlebt, sollte über gute genetische Anlagen verfügen; vielleicht sind seine Gene daher besonders begehrt. Eine Präferenz der Weibchen für reifere Semester würde so mit besonders lebenstüchtigen Nachkommen belohnt und im Laufe der Evolution begünstigt.
Abschließende Aussagen erlaube die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Studie aber noch nicht. „Wir vermuten, dass auch die Erfahrung des Männchens eine große Rolle spielt.“ So wissen ältere Männchen vielleicht eher als „Grünschnäbel“, wann sie mit der Nachbarin turteln und ihr eigenes Weibchen gefahrlos allein lassen können, ohne dass ein Rivale die Gelegenheit ausnutzt.
Auch bei der Brutpflege könnten sich erfahrene Tannenmeisen-Männer rationeller verhalten. Beim ersten Nachwuchs haben sie dagegen noch alle Flügel voll zu tun, da bleibt fürs „Fremdgehen“ vielleicht einfach keine Zeit.
(idw – Universität Bonn, 24.10.2007 – DLO)