Nicht jede Bildinformation, die unser Auge aufnimmt, nehmen wir bewusst wahr. Konzentrieren wir uns im Verkehrsgeschehen auf die Straße, ignorieren wir Szenen am Straßenrand – obwohl wir sie „sehen“. Trotzdem werden diese Informationen im Gehirn verarbeitet und im Gedächtnis gespeichert. Auf der Suche nach den neuronalen Grundlagen für dieses Phänomen ist es Wissenschaftlern gelungen, die unbewusste Verarbeitung von Bildinformation am Computer zu simulieren.
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Das Team um Hecke Schrobsdorff und Dr. J. Michael Herrmann vom Bernstein Center for Computational Neuroscience und der Universität Göttingen hat dazu eine mathematische Grundlage für ein psychologisches Modell zur Reizverarbeitung formuliert. Auf diese Weise lassen sich experimentelle Ergebnisse quantitativ reproduzieren. Die Forscher berichten über ihre Ergebnisse in der Zeitschrift „Connection Science“.
Objekte, die wir kurz zuvor gesehen haben, erkennen wir schnell wieder. Dieses Phänomen wird als positives Priming bezeichnet. Der gegenteilige Effekt ist das negative Priming: Eine von uns ignorierte Bildinformation wird weniger schnell wiedererkannt – ein Beweis dafür, dass unser Gehirn sie verarbeitet hat, ohne sie bewusst wahrzunehmen.
Unterschiedliche Reizverarbeitung
Wissenschaftler können negatives Priming in einem psychologischen Test messen. Dazu werden Probanden zwei übereinander gelagerte Strichzeichnungen – eine rote und eine grüne – gezeigt. Die Versuchspersonen sollen benennen, was das grüne Bild darstellt. Die rote Strichzeichnung stört bei der Aufgabe und muss ignoriert werden. Anschließend wird die Prozedur mit anderen Zeichnungen wiederholt. Dabei entspricht die grüne Zeichnung der Figur, die beim ersten Durchgang rot dargestellt war und nicht beachtet werden sollte. Probanden reagieren nun um wenige Millisekunden langsamer auf die Frage, was dort zu sehen ist.
Die Forscher fragen nach den Ursachen dieser unterschiedlichen Reizverarbeitung. Wird ein ignorierter Reiz über längere Zeit im Gehirn aktiv unterdrückt und deshalb nicht erkannt? Oder ist das Objekt als „zu ignorieren“ gestempelt, was einen Konflikt erzeugt mit der neuen Anforderung, darauf jetzt doch zu reagieren? „Psychologen formulieren ihre Modelle in Sätzen – eine quantitative Aussage machen sie damit nicht“, erläutert Schrobsdorff.
Simulation erklärt Priming
Um die Erkenntnisse psychologischer Tests „quantifizieren“ zu können, haben die Göttinger Wissenschaftler jetzt eine mathematische Grundlage entwickelt. Sie basiert in diesem Fall auf der Idee, dass der rote und grüne Reiz parallel verarbeitet werden, wobei jedoch die Prozessierung relevanter Reize forciert wird.
Damit das grüne Bild erkannt wird, muss die Verarbeitung des grünen Reizes einen Schwellenwert überschritten haben, der von dem roten Reiz noch nicht erreicht wurde. Der Schwellenwert selbst steigt mit dem Verarbeitungsprozess an. Ist das grüne Bild dem Betrachter kurz zuvor als roter Reiz begegnet, verlangsamt dies die Reizverarbeitung; sie wird durch das Aufeinandertreffen nicht miteinander vereinbarer Repräsentationen erschwert.
Die Forscher können mit ihrem Modell die experimentell gewonnenen Messwerte sehr genau reproduzieren. „Mit unserer computerbasierten Simulation lassen sich sowohl positives als auch negatives Priming erklären“, so Schrobsdorff. Ziel des Projekts ist es, auch Aspekte anderer psychologischer Testverfahren in das Computermodell zu integrieren, so dass testbare quantitative Vorhersagen unterschieden werden können.
(Bernstein Centers for Computational Neuroscience, 23.10.2007 – DLO)