Seit Jahren beobachten Schweizer Forscher den afrikanischen Kivu-See mit wachem Auge. Denn in dessen Tiefe lauert Gefahr in Form von vielen Milliarden Kubikmetern an gelösten, giftigen Gasen. Nun könnte eine kontrollierte Nutzung von Methan zwei Fliegen auf einen Schlag erledigen: die Stromversorgung in der Region für Jahrzehnte sichern und das Risiko eines tödlichen Gasausbruchs langfristig beseitigen.
Der Kivu-See zwischen Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo ist 2.400 Quadratkilometer groß und fast 500 Meter tief. Die Landschaft rund um den See erinnert an die Voralpen – statt mit Tannen und Buchen sind die Hänge allerdings mit Maniok und Bananen bewachsen. Doch die Idylle trügt. In der Tiefe des einzigartigen Sees lauert Gefahr. Rund 250 Milliarden Kubikmeter Kohlendioxid und 55 Milliarden Kubikmeter Methan sind im Wasser gelöst. Weltweit sind nur noch zwei Seen bekannt, in denen ähnliche Gasvorkommen lagern: der Monoun- und der Nyos-See in Kamerun. Das Kohlendioxid in der Tiefe des Kivu-Sees stammt zur Hauptsache aus vulkanischer Aktivität; das Methan wird von Bakterien gebildet, welche im sauerstofffreien Tiefenwasser das tote organische Material, abgestorbene Algen, abbauen.
Gefahr aus der Tiefe
Wissenschaftler des Schweizer Wasserforschungsinstituts Eawag haben in den letzten Jahren nachgewiesen, dass die Konzentrationen steigen – die Methanwerte gegenüber den 1970er Jahren um bis zu 20 Prozent. Noch bleibt das Gas in den tiefen Wasserschichten gelöst, weil dort der Druck hoch ist und der See darüber extrem stabil geschichtet ist. So findet zwischen dem Tiefenwasser und der Oberfläche kaum ein Austausch statt.
Wenn jedoch die Konzentrationen weiter steigen oder wenn eine starke Störung eintritt – ein Vulkanausbruch oder ein grosses Erdbeben zum Beispiel – könnte sich das schlagartig ändern. Dann könnten Gasblasen in grosser Zahl aufsteigen und in einer Kettenreaktion gigantische Gasmassen freisetzen. Das Gasgemisch aus Kohlendioxid und Methan könnte zur Katastrophe führen, denn die Ufer des Kivu-Sees sind dicht besiedelt. Rund zwei Millionen Menschen leben dort. Hunderttausende könnten ersticken. Das ist 1986 am Nyos-See in Kamerun geschehen, als ein Gasausbruch den Tod von 1.800 Menschen verursacht hat.
Kraftwerk soll Gasreserven nutzen
Nun will Ruandas Regierung die Gasreserven im Kivu-See zur Stromgewinnung nutzen. Kürzlich hat sie der Südafrikanischen Engineering-Firma Murray & Roberts die Konzession für das Pilotprojekt eines Kraftwerks erteilt. 2008 soll dieses starten. Das Prinzip ist einfach: Wird ein Rohr in die Tiefe des Sees gelegt, strömt das Wasser wegen der im Rohr entstehenden Gasblasen von selbst nach oben. An der Oberfläche sprudelt das Gas aus dem Wasser, wie aus einer geschüttelten Mineralwasserflasche. Das Methan muss anschließend vom Kohlendioxid getrennt werden, bevor es genutzt werden kann.
„Die Nutzung des Gases macht Sinn, insbesondere, wenn damit gleichzeitig die Gefahr eines Ausbruchs vermindert werden kann. Doch niemand weiss exakt, wie der See auf eine Entnahme reagieren wird. Daher müssen selbst kleine Pilotversuche sehr sorgfältig ausgeführt und überwacht werden“, erklärt Professor Alfred Wüest, Leiter der Abteilung Oberflächengewässer an der Eawag.
Noch sind zahlreiche Fragen offen
Wüest und sein Team begleiten im Auftrag der Regierung Ruandas und der holländischen „Commission for Environmental Impact Assessment“ die Planung der Methanausbeutung am Kivu-See. In mehreren Workshops mit internationalen Experten wurden diese Woche Randbedingungen ausgehandelt, damit sowohl die Stabilität der Schichtung als auch der Seeökologie jederzeit unter Kontrolle bleibt. Umstritten ist zum Beispiel die Frage, in welche Tiefe das ausgegaste Wasser in den See zurückgeleitet werden muss, um die Schichtung möglichst nicht zu stören. Oder ob das Kohlendioxid zumindest teilweise wieder in die Tiefe zurückgeleitet werden kann, damit durch die Methannutzung möglichst wenig Treibhausgas in die Atmosphäre gelangt.
Eine zentrale Frage ist sodann, wie sich die Methannutzung auf das Wachstum der Algen im See auswirken wird. Eine Fehlplanung könnte zum Desaster werden für das sensible Ökosystem und die Menschen, die davon leben. Nebst einem Computermodell, welches das Verhalten des Sees simuliert, erarbeiten die Forscherinnen und Forscher daher auch ein Konzept zu dessen Dauerüberwachung. Es darf nicht sein, dass niemand merkt, falls sich in der Tiefe das Unheil anbahnt.
(EAWAG: Swiss Federal Institute of Aquatic Science and Technology, 12.10.2007 – NPO)