Neutronen, die elektrisch neutralen Bestandteile der Atomkerne, sind offenbar doch nicht ganz so einfach gestrickt, wie bisher angenommen. Neue Daten enthüllen, dass sie in ihrem Kern eine negative Ladung tragen, darüber eine positive und ganz außen wieder eine negative. Diese jetzt in den „Physical Review Letters“ veröffentlichte Entdeckung widerlegt die gängige Theorie.
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Seit zwei Generationen von Physikern galt die Annahme, dass Neutronen eine positive Ladung in ihrem inneren Kern tragen und eine ausgleichende negative Ladung an ihrem äußeren Rand. Enrico Fermi, der den Nobelpreis für seine Rolle bei der Entwicklung des ersten nuklearen Reaktors erhielt, war der erste, der 1947 diese Theorie vertrat. Doch neue Daten eines Forscherteams der Universität von Washington scheinen diese etablierte Annahme nun zu widerlegen. Offenbar sind die Neutronen doch nicht ganz so einfach aufgebaut, wie bisher angenommen.
Die neuen Erkenntnisse sind das Ergebnis der Zusammenarbeit von drei Teilchenphysik-Forschungseinrichtungen in Deutschland und den USA: dem Thomas Jefferson National Accelerator Facility in Newport, dem Bates Linear Beschleuniger am Massachusetts Institute of Technology und dem Mainz Mikrotron der Gutenberg Universität in Mainz. Wissenschaftler der drei Labore analysierten verschiedene Aspekte der Eigenschaften von subatomaren Teilchen. Gerald A. Miller, Professor für Physik an der Universität von Washington konzentrierte sich dabei besonders auf die Neutronen – und stieß auf eine Überraschung.
Einerseits bestätigten die Daten Fermis Theorie, nach der das Neutron außen eine negative Ladung trägt. Andererseits aber enthüllten sie, dass nicht das gesamte Innere positiv geladen ist, sondern dass stattdessen die positive Ladung wie eine Sandwichfüllung zwischen der Außenhülle und einem negativen Kern sitzt. „Keiner von uns hat angenommen, dass das der Fall sein könnte”, erklärt Miller. „Es ist bedeutsam, da es ein klarer Bestandteil der Natur ist, den wir nicht kannten. Ein Teilchen kann neutral sein und trotzdem Eigenschaften von Ladungen besitzen. Wir wissen seit einer Weile, dass das Neutron solche Eigenschaften hat, aber erst jetzt verstehen wir sie besser.“
Die stärkste Kraft im Universum
Die Entdeckung verändert auch das wissenschaftliche Verständnis darüber, wie Neutronen mit negativ geladenen Elektronen und positiv geladenen Protonen interagieren. Im Speziellen liefert sie auch Einblick darin, wie die starke Wechselwirkung, die Kraft, die die Atomkerne zusammenhält, wirkt. Erst sie gibt den Atomen die Stabilität, die sie zu den Bausteinen unserer Materie macht. Die starke Wechselwirkung spielt auch in der Nutzung der Atomenergie sowie in der Entwicklung von Kernwaffen eine wichtige Rolle. Doch darüber hinaus ist sie auch bei unserem wichtigsten Energielieferanten im Spiel – der Sonne. Denn auch bei der Kernfusion ist sie die treibende Kraft. „Wir müssen genau verstehen, wie die starke Kraft wirkt, denn sie ist die stärkste Kraft, die wir im Universum kennen“, so Miller.
(University of Washington, 18.09.2007 – NPO)