Biologie

Affen knobeln besser

Erst soziale Fähigkeiten machen uns überlegen

Im Wettkampf: Kleinkinder, Schimpansen und Orang-Utans mussten verschiedene Aufgaben lösen. Während die Affen in räumlichen Studien besser abschnitten, lernten die Kinder schneller, neue Probleme zu lösen. © MPI EVA/Herrmann/Arco Images GmbH

Der Mensch ist klüger als der Affe – aber nicht in allem. Leipziger Evolutionsbiologen haben jetzt herausgefunden, dass wir den Affen in sozialen Fähigkeiten überlegen sind. Wenn es hingegen um reines Knobeln geht, dann liegen die Menschenaffen vorne.

Ein Problem, zwei Lösungen: Ein Wissenschaftler öffnet mit einem Stock ein Rohr, in dem sich Spielzeug oder Futter befindet. Kleinkinder kopieren alles haargenau und kommen so problemlos an das ersehnte Spielzeug. Affen hingegen beißen in das Rohr, schlagen darauf ein und versuchen es, mit purer Gewalt zu knacken. Tierisches Verhalten, das sich auch in unserer Sprache widerspiegelt: „Wir machen uns zum Affen“ oder ein „Affentheater“ – der Vergleich mit unseren nächsten Verwandten ist oft negativ besetzt.

Da der Mensch ein größeres Gehirn habe, verhalte er sich auch klüger – so die Theorie der generellen Intelligenz. Diese Annahme haben Forscher vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie jetzt widerlegt. Anhand neuer Untersuchungen konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass soziale Fähigkeiten das Rüstzeug für unseren Verstand sind. „Weil wir von anderen lernen, Verhalten abschauen und es imitieren, können wir so schnell so viel klüger sein als Affen“, sagt Projektleiter Michael Tomasello. Zusammen mit anderen Wissenschaftlern hat er die Fähigkeiten von Menschen und Affen erstmals in einheitlichen Tests verglichen. „Das ist das erste Mal, dass Wissenschaftler physische und soziale Aspekte in einer Vergleichsstudie kombinieren“, sagt Esther Herrmann, die die Tests mitkonzipiert und durchgeführt hat: „Vorher wurden immer nur Einzelaspekte untersucht.“

Kulturelle Intelligenz spart Zeit

Der Mensch hat im Laufe der Evolution ganz spezielle soziale Fähigkeiten erworben, die es ihm ermöglichen, besser in einer Gruppe zu leben und Informationen auszutauschen. Diese Fähigkeiten haben sogar schon Kleinkinder. Sie lernen von Geburt an von anderen. Später entwickeln sie mithilfe anderer Menschen ein Gefühl für Sprache oder Zahlen. „Dabei muss nicht immer das Rad neu erfunden werden“, meint Esther Herrmann. „Wir lernen durch kulturelle Faktoren wie wir das Rad sinnvoll nutzen.“ Die Studie der Forscher zeigt jetzt erstmals umfassend, wie dieses soziale Rüstzeug den Menschen klüger macht als den Affen.

Kinder gegen Affen

Dafür mussten die Forscher neue Studien entwickeln, die Menschen und Affen gleichermaßen verstehen und lösen können. Als menschliche Probanden wählten sie 105 Kleinkinder im Alter von zwei Jahren. „Wir haben bewusst so junge Versuchsteilnehmer gewählt, damit sie mit den Affen auf einem Level sind“, erklärt Michael Tomasello. Als Vergleich dienten 106 Schimpansen und 32 Orang-Utans aus Schimpansenwaisen-Stationen in Uganda und der Repulik Kongo sowie einer Orang-Utanwaisen-Station in Borneo.

Um die Testsituation auch wirklich komplett identisch zu gestalten, waren die Kleinkinder durch eine Plexiglasscheibe von den Versuchsleitern getrennt – genauso wie ihre haarigen Verwandten. Die Affen wurden in den Waisenstionen in Afrika und Borneo getestet, in denen sie leben. Jedes Individuum musste über fünf Stunden lang über mehrere Tage verteilt die unterschiedlichen Aufgaben lösen. „Dabei war es uns wichtig, dass die Affen freiwillig mitmachten“, so Herrmann.

Affen knobeln besser

Die Studien auf der physischen Ebene sollten zeigen, wie die drei Gruppen ohne Hilfe z.B. räumliche Probleme lösen können. Die Wissenschaftler versteckten dabei Futter unter einem Becher, bewegten diese wie bei einem „Hütchenspiel“ hin und her. Die Kleinkinder und die Affen sollten herausfinden, wo sich die Leckereien befinden. Dabei überraschte es die Wissenschafter, „dass die Schimpansen teilweise besser waren als die Kinder. Das hatten wir so nicht erwartet“, sagt Herrmann: „Sie haben verstecktes Futter schneller gefunden, kleine Summen besser addiert und Werkzeuge öfters benutzt. Affen besitzen eine Knobelnatur.“

Dieses Ergebnis spiegelte sich auch in einer weiteren Aufgabe wider: Dabei sollten die Kinder und die Affen an eine Belohnung kommen, die außer Reichweite lag. Mit einem Stock konnten sie das ersehnte Objekt heranholen. Während sich die Schimpansen sofort den Stock schnappten und das Futter angelten, spielten die Kinder mit dem Werkzeug und setzten es oft gar nicht ein. „Das widerlegt die Theorie von der generellen Intelligenz“, erklärt Michael Tomasello: „Da die Kinder bei solch vermeintlich einfachen Aufgaben schlechter abschneiden als die Schimpansen, können sie nicht generell intelligenter sein.“

Kleinkinder imitieren, Affen sind Freidenker

Die besondere Intelligenz des Menschen zeigt sich erst in der sozialen Interaktion, die in der zweiten Phase der Studie erprobt wurde. Hier mussten die Probanden lernen, Hinweise zu deuten und mit dem Studienleiter zu kommunizieren, um an eine Belohnung zu kommen. Die Forscher machten die Aufgaben vor oder zeigten mit Gesten, unter welchem Becher die Belohnung zu finden war. Dabei zeigte sich, dass die Kinder die Handlungen exakt wiederholten und Hinweise besser deuteten als die Affen. Die Menschenaffen versuchten hingegen, immer ihren eigenen Weg zu finden.

„Dieser Unterschied zeigt, dass Menschen auf sozialer Ebene viel besser lernen und leichter ans Ziel kommen“, sagt Esther Herrmann: „Durch das soziale Lernen können sich die Kleinkinder viel einfacher neue Fähigkeiten aneignen, indem sie angeleitet werden und imitieren. Ohne diese Fähigkeiten würden sie sich nicht viel weiter entwickeln als die Affen.“

Vorsprung durch soziale Intelligenz

Diese besonderen sozialen Fähigkeiten hat der Mensch seit seiner Geburt inne. Sie sind der entscheidende Schlüssel, um im kulturellen Umfeld zu lernen und geistig zu wachsen. Geistiger Fortschritt ist also immer eine Gruppenleistung: „Nicht ein Mensch hat den Computer erfunden“, so Herrmann: „Einer hatte am Anfang die Idee, andere haben daran angeknüpft und diese weiterentwickelt.“ Michael Tomasello geht sogar noch weiter. Er meint, dass ein Mensch auf einer einsamen Insel ohne Mitmenschen und Kultur immer auf Affen-Niveau bleiben würde, da er von keinem lernen kann.

Warum und wann der Mensch allerdings dieses besondere soziale Rüstzeug entwickelt hat, ist noch völlig unklar. Die Forscher wollen in Zukunft mit dem Test-Design auch weitere Verwandte des Menschen untersuchen. So wollen sie herausfinden, wann sich in der Evolution bestimmte Fähigkeiten entwickelt haben und wo es Unterschiede auf der sozialen Ebene gibt. Sie träumen von einer Verhaltens-Landkarte für die Evolution. „Leider lebt keiner unserer direkten Vorfahren mehr. Zu gerne würde ich den Homo erectus testen“, schwärmt Esther Herrmann.

(MPG, 06.09.2007 – NPO)

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