Mobilität, der Austausch von Populationen untereinander, galten bisher in der Ökologie prinzipiell als positiv. Doch eine jetzt in „Nature“ veröffentlichte Studie entlarvt eine zu große Mobilität als schädlich, denn sie verringert die Artenvielfalt. Der Grund: Eine zu große Fluktuation stört die etablierten Wechselwirkungen.
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Ökosysteme können nur entstehen und überleben, wenn sie eine Vielzahl von Arten enthalten. Die oft zyklisch verlaufenden Interaktionen zwischen den konkurrierenden Spezies ermöglichen langfristig Biodiversität und damit die stabile Koexistenz aller beteiligten Arten. Doch in der Natur verbleiben die wenigsten Populationen dauerhaft an einem Ort. Professor Erwin Frey, Dr. Mauro Mobilia und Tobias Reichenbach vom Department für Physik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München beschreiben in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature“ zum ersten Mal theoretisch, welch entscheidende Rolle die Mobilität von Arten in Ökosystemen spielt.
Überschreitet die Durchmischung durch Mobilität einen gewissen Schwellenwert, ist die Biodiversität gefährdet oder geht sogar unter. Unterhalb des Limits aber koexistieren die Subpopulationen und bilden fortlaufende, spiralförmige Beziehungsmuster. „Dieses Phänomen ist sehr allgemein“, berichtet Frey. „Es tritt unabhängig von den Details der Konkurrenz oder der räumlichen Umgebung auf.“
“Stein, Schere, Papier“ im Ökosystem
Jeder kennt das Spiel „Stein, Schere, Papier“. Dabei macht der Stein die Schere stumpf, die dafür das Papier schneidet, das wiederum den Stein einwickeln kann. So ist jeder in manchen Beziehungen über-, in anderen unterlegen. Zusammen genommen bilden diese nicht- hierarchischen Beziehungen eine Kreisbewegung. „Dieses Spiel kann helfen, die Artenvielfalt zu beschreiben“, so Frey. „Hintergrund dessen ist die so genannte Spieltheorie, in diesem Fall die evolutionäre Spieltheorie. Mit ihrer Hilfe kann man die gemeinsame Entwicklung von Populationen untersuchen.“ Im Ökosystem wären das im vereinfachten Modell drei Subpopulationen, die sich reihum dominieren – entsprechend Stein, Schere und Papier.
„Tatsächlich wurden entsprechende Gemeinschaften schon gefunden“, berichtet Reichenbach. „Und zwar in ganz unterschiedlichen Ökosystemen, vom Korallenriff über kalifornische Küstenregionen bis in die Tundra. Vor allem aber in Studien an Mikroben wurde der Einfluss der räumlichen Struktur auf die zeitliche Entwicklung und die Koexistenz von Arten untersucht. Dabei hat sich allerdings gezeigt, dass zyklische Dominanz allein nicht ausreicht, um Biodiversität zu erhalten.“
Räumliche Begrenzung muss sein
Die Ergebnisse zeigten vielmehr, dass die Interaktionen zwischen den Individuen räumlich begrenzt sein müssen, damit sich einzelne Bereiche ausbilden, die von je einer Subpopulation dominiert werden, was dann wiederum zu einer stabilen Koexistenz führt. „Deshalb muss man davon ausgehen, dass die Durchmischung durch Mobiliät – also ein weit verbreitetes Phänomen in realen Ökosystemen – die Biodiversität ganz entscheidend beeinflusst“, so Frey. „Dabei konkurriert die Migration mit lokalen Interaktionen wie etwa Reproduktion und Selektion.“
Ist die Mobilität gering, wird die Entwicklung von lokalen Wechselwirkungen zwischen benachbarten Individuen dominiert. Langfristig erhält dies die Biodiversitä aufrecht. Wie Frey und seine Mitarbeiter mit Hilfe aufwändiger Computersimulationen zeigen konnten, können in diesem Fall alle Arten koexistieren und sie bilden im zeitlichen Verlauf Beziehungen aus, die ein kaleidoskopartiges Muster sich fortbewegender Spiralen formen.
Ist die Mobilität aber hoch, geht die Biodiversität verloren. Denn dann bilden sich keine Spiralen mehr aus, und das System geht in einen gleichförmigen Zustand über: Nur noch eine Art ist präsent, die anderen sind ausgestorben. „Welche Spezies dabei übrig bleibt, ist zufällig, weil alle die gleiche Chance haben zu überleben“, berichtet Frey. „Für uns war dabei besonders faszinierend, dass es einen Schwellenwert der Mobilität gibt, der diese beiden Szenarien trennt. Wir können mittlerweile sehr präzise Vorhersagen zum Schicksal eines ökologischen Systems machen, und zwar abhängig von der Mobilität der Arten. Unsere Analyse hat direkte Auswirkungen auf die experimentelle Erforschung von Biodiversität und Musterbildung – und erlaubt ein tieferes Verständnis dieser Phänomene.“
Zu große Durchmischung bringt Uniformität
Ähnliche Phänomene sind zudem aus dem Alltag bekannt, etwa der oft beklagte Verlust der Vielfalt von Sprachdialekten. „Der Grund dafür ist in erster Linie wohl das Fernsehen“, so Frey. „Das spielt eine ähnliche Rolle wie die Mobilität in Ökosystemen, nämlich die über große Entfernungen stattfindende Kommunikation und Interaktion von Individuen. Je stärker die Durchmischung, desto eher ergibt sich eine gewisse Uniformität.“
Vergleichbar ist auch die Situation von miteinander im Wettbewerb stehenden Firmen. „Lokal können individuelle ökonomische Strukturen koexistieren“, meint Frey. „Das geht aber nur, solange die Interaktion auch lokal und damit die Durchmischung begrenzt ist. Durch das Internet und andere Formen der Globalisierung stehen nun aber mehr oder weniger alle Firmen gleichzeitig und weltweit miteinander im Wettbewerb. Die räumliche Trennung ist völlig aufgehoben, und wir beobachten eine Reduktion auf wenige große „player“.“
(Universität München, 03.09.2007 – NPO)