Seit langem suchen Biologen nach den Wurzeln des geschlechtsspezifischen Verhaltens. Jetzt hat eine Studie an Mäusen belegt, dass bei Ausfall von nur einem Sinnesorgan, einem Pheromonsensor, weibliche Mäuse plötzlich anfangen, sich „typisch männlich“ zu verhalten. Nach Ansicht der Forscher deutet dies darauf hin, dass auch das Verhalten des jeweils anderen Geschlechts im Gehirn angelegt ist.
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Wie das Forscherteam um Catherine Dulac und Tali Kimchi vom Howard Hughes Medical Institute (HHMI) im Fachmagazin „Nature“ berichtet, untersuchten sie die Ursprünge des bei den beiden Geschlechtern unterschiedlichen Paarungs- und Aggressionsverhaltens mithilfe von Mäusen, bei denen ein Sinnesorgan außer Kraft gesetzt worden war. Dieses so genannte vomeronasale Organ sitzt in der Nase der Tiere und dient speziell der Wahrnehmung von Pheromonen, artspezifischen Duftstoffen, die als Auslöser bestimmter Verhaltensweisen fungieren.
Pheromone als Schlüsselreize
Die Rolle dieses Organs und der von ihm verarbeiteten Duftstoffe ist seit rund hundert Jahren bekannt. Es ist über Nervenbahnen direkt mit den Hirnbereichen verbunden, die unter anderem für das Fortpflanzungsverhalten zuständig sind. Nicht bekannt war bisher allerdings, welche Rolle es für das geschlechtsspezifische Verhalten spielt, da der Versuch, das Organ zu entfernen, immer auch die Riechfähigkeit der Tiere so stark beeinträchtigte, dass ihr Verhalten schon dadurch verändert war. Die Howard Hughes–Forscher dagegen setzten in ihren Versuchen Mäuse ein, deren Vomeronasalorgan gentechnisch blockiert war.
Das Ergebnis dieser Manipulation war überraschend: Die weiblichen Mäuse mit „ausgeschaltetem“ Pheromonsensor zeigten plötzlich eindeutig männliches Verhalten: Sie bestiegen Artgenossinnen, führten Beckenstöße aus, warben um Weibchen und stießen die komplexen Ultraschalllaute aus, die sonst nur Männchen nutzen. „typisch“ weibliche Verhaltensweisen wie Brutpflege oder Verteidigung des Nachwuchses waren dagegen deutlich vermindert.
Gehirnstruktur gleich
Nach Ansicht der Forscher deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass das männliche Geschlechtsverhalten auch im weiblichen Gehirn „verdrahtet“ ist. Ganz offensichtlich besitzen beide Geschlechter die neuronalen Voraussetzungen für das spezifische Verhalten auch des jeweils anderen Geschlechts. Erst die Aktivierung durch chemische Reize, wie in diesem Falle die Pheromone, entscheidet, welches Verhalten gezeigt wird.
„Die Weibchen verhielten sich genau wie Männchen“, erklärt Dulac. „Das weist darauf hin, dass die Weibchen einen absolut funktionsfähigen männlichen Regelkreis in ihrem Gehirn haben.“ Der durch die Pheromone aktivierte Schalter, der diesen Regelkreis aktiviert, ist allerdings bei beiden Geschlechtern wahrscheinlich unterschiedlich.
„Verkabelung“ wichtiger Faktor
Die Studie gibt einen neuen Einblick in die Mechanismen, die geschlechtsspezifisches Verhalten steuern. Denn sie bezieht erstmals auch die Sinneswahrnehmungen und ihre Rolle für das Verhalten mit ein. Welche das allerdings sind, unterscheidet sich wahrscheinlich deutlich bei verschiedenen Tierarten. Denn, so Dulac, Mäuse sind extrem stark von Pheromonen beeinflusst, Menschen und viele andere Tiere dagegen eher durch visuelle Reize bestimmt. Dennoch zeigt die Studie, dass es sich lohnen kann, in Zukunft die „Verkabelung“ von Sinnesorganen und Verhalten näher zu untersuchen.
(Howard Hughes Medical Institute, 06.08.2007 – NPO)