Zellen müssen mit dem haushalten, was sie an Energie und Bausteinen haben. Daher verfügen sie über eine besondere Möglichkeit des Recyclings – die so genannte Autophagie. Dieser jetzt entdeckte und in „Nature“ publizierte Prozess sichert den Schutz und das Überleben der Zelle in Notzeiten und ist ein wichtiger zusätzlicher Regelkreis bei der frühen Entwicklung des Nervensystems.
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Auch Zellen haben einen Lebenszyklus: Sie vermehren sich, sie wachsen, und sie sterben schließlich ab. Während ihrer Lebensspanne müssen sie mit Energie und Rohstoffen sparen. Ein zelluläres Recycling-System hilft ihnen jedoch dabei, alte und schädlich gewordene Zellbestandteile abzubauen und wichtige Bausteine wieder zu verwerten. In der Not verzehren Zellen sogar ganze Teile von sich selbst, um ihr Überleben zu sichern.
Recycling-System steuert Entwicklung
Gemeinsam mit ihrem italienischen Kollegen Francesco Cecconi konnten Wissenschaftler Kamal Chowdhury und Anastassia Stoykova vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen nun zeigen, dass das Recycling-System von Zellen ein entscheidender Faktor in der frühen Entwicklung des Nervensystems von Säugetieren ist. Denn fehlt dieser Prozess, vermehren sich die Zellen zu stark, es kommt zu unkontrollierten Zellauswüchsen, und als Folge sterben mehr Zellen ab.
Wie sind die Forscher auf die Spur dieses neuen Regulators in der Entwicklung des Nervensystems gekommen? Die Wissenschaftler haben nach bestimmten Proteinen gesucht, welche für das Überleben von Maus- Embryonen unentbehrlich sind und schon früh bei der Bildung des Nervensystems benötigt werden. Genau so ein Protein ist das Ambra-1. „Überraschenderweise wechselwirkt Ambra-1 mit einem anderen Protein, das direkt am Recycling der Zelle beteiligt ist. Es wirkt dabei als Aktivator für die Autophagie“, erklärt Chowdhury. Fehlt das Ambra-1, so gehen die Recycling-Raten der Zelle deutlich zurück.
Bausteine fehlen
Sehr gut erkennbar ist dies an dem fast völligen Fehlen kleiner Vesikel, winziger Bläschen, in welche die abzubauenden Zellbestandteile während der Autophagie verpackt werden. Maus-Embryonen, denen das Ambra-1 fehlt, zeigen zudem deutliche Zellwucherungen durch unkontrollierte Zellvermehrung. Dadurch sterben mehr Zellen ab, die dann als Bausteine beim Schließen von Lücken im Gewebe fehlen. Ein äußerlich ähnliches Phänomen ist der so genannte „offene Rücken“ (Spina bifida), bei dem Teile der Wirbelsäule nicht geschlossen werden. Dieser Defekt in der Embryonalentwicklung tritt bei einem von 1.000 Kindern auf und kann zur Querschnittslähmung führen. Ob die Spina bifida jedoch auf einem Ambra-1-Mangel beruht, ist noch völlig ungeklärt.
Somit scheint die Entwicklung des Nervensystems ein komplexes Zusammenspiel zwischen dem Selbstverzehr von Zellen, ihrer Vermehrung und ihrem Tod zu sein. Zukünftig wollen die Göttinger Wissenschaftler nun erforschen, ob die Autophagie ein neuer wichtiger Regulations- Mechanismus in der normalen Entwicklung aller Organe und Gewebe ist.
(Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, 09.07.2007 – NPO)