Archäologen aus Tübingen haben in der Vogelherdhöhle im Lonetal in Südwestdeutschland fünf neue Figuren aus der Eiszeit entdeckt. Sie sind aus Mammutelfenbein geschnitzt und stammen aus der Zeit vor rund 35.000 Jahren. Damit gehören die Figuren zu den ältesten und beeindruckendsten Beispielen figürlicher Kunst der Eiszeit.
Besonders spektakulär ist der Fund der ersten vollständigen Elfenbeinfigur von der Schwäbischen Alb, die ein sorgfältig geschnitztes Mammut darstellt. Unter den Figuren befinden sich darüber hinaus ein gut erhaltener Teil eines Löwen, ein Bruchstück eines zweiten Mammuts sowie Reste zweier noch nicht identifizierter Darstellungen.
Alle Neufunde stammen aus den Sedimenten der Höhle, die zuerst im Sommer und Herbst 1931 durch den Tübinger Archäologen Gustav Riek ausgegraben worden war. Der Fundkontext und eine Reihe von Radiokohlenstoffdaten zeigen, dass die Funde in das Aurignacien gehören, das oft mit der Ankunft anatomisch moderner Menschen in Europa in Zusammenhang gebracht wird. Zahlreiche Radiokohlenstoffdaten für den Vogelherd bewegen sich zwischen 30.000 und 36.000 Jahren vor heute.
Neue Ausgrabungen seit 2005
Wegen des Reichtums an Artefakten aus Rieks grundlegenden Grabungsarbeiten von 1931 und gelegentlicher Entdeckungen bei ungenehmigten Ausgrabungen in der alten Höhlenfüllung hoffte das Team der Universität Tübingen, bedeutende neue Eiszeitfunde am Vogelherd zu finden. Die systematische Nachgrabung an der Fundstelle begann 2005 und wird bis 2009 in jedem Sommer fortgesetzt. Mit der Entdeckung der fünf Figuren neben vielen anderen bedeutenden Artefakten im Jahre 2006 wurden alle Erwartungen übertroffen.
Die vollständige Wiedergabe eines Mammuts und die Darstellung eines Löwen erweitern die eindrucksvolle, international bekannte Gruppe von Figuren, die Riek 1931 entdeckt hatte. Wie die meisten aurignacienzeitlichen Figuren aus den Höhlen der Schwäbischen Alb ist das neue Mammut klein und wurde mit großem Detailreichtum unter Benutzung von Steinartefakten geschnitzt. Die Figur ist 3,7 Zentimeter lang und wiegt 7,5 Gramm. Unter den mehr als einem Dutzend Figuren von der Schwäbischen Alb ist dieses Stück die erste vollständig erhaltene. Die meisten anderen Kunstwerke sind entlang der konzentrischen Ringe des Elfenbeins gebrochen.
Das Mammut ist nach Angaben der Archäologen einzigartig in seiner schlanken Gestalt, mit dem spitzen Schwanz, den kräftigen Beinen und dem dynamisch geschwungenen Rüssel. Der Kopf der Figur ist mit sechs kurzen Einschnitten verziert, und die Fußsohlen weisen ein Kreuzmuster auf.
Eiszeitmenschen mit glänzenden Fähigkeiten
Der neu entdeckte Löwe ist 5,6 Zentimeter lang, hat einen langgezogenen Körper sowie einen nach vorne gereckten Hals und ist entlang der Rückenlinie mit etwa 30 fein eingeritzten Kreuzen verziert, so die Wissenschaftler. Löwen, Mammute und andere machtvolle Tiere dominieren die Darstel lungen der frühesten Eiszeitkunst aus den Höhlen der Schwäbischen Alb.
Die neuen Funde demonstrieren nach den Erkenntnissen der Forscher die glänzende Kunstfertigkeit der eiszeitlichen Bewohner der Schwäbischen Alb und bekräftigen die Beobachtung, dass die älteste figürliche Kunst schön und hoch entwickelt und keineswegs primitiv war. Vier Höhlen der Region – Vogelherd, Hohlenstein-Stadel, Geißenklösterle und Hohle Fels – haben Kunstwerke geliefert, die alle älter als 30.000 Jahre sind. Diese Funde gehören zu den ältesten und eindrucksvollsten figürlichen Kunstwerken weltweit.
Die Wissenschaftler berichten über die Arbeiten am Vogelherd im aktuellen Band des Jahrbuches Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg. Die vorläufigen Ergebnisse der Ausgrabungen werden zudem vom 24.06.07 bis 13.01.08 in einer Sonderausstellung im Urgeschichtlichen Museum in Blaubeuren präsentiert. 2009 werden die Figuren dann in der großen Landesausstellung in Stuttgart mit dem Titel ‚Kulturen und Kunst der Eiszeit‘ ausgestellt.
(idw – Universität Tübingen, 21.06.2007 – DLO)