Botanik

Weizen „schwimmt“ sich fest

Getreidekörner bohren sich mithilfe des Wechsels der Luftfeuchtigkeit in die Erde

Ähnlich den Schwimmstößen eines Frosches schiebt sich ein Weizenkorn mithilfe seiner beiden Grannen in den Boden. Feine, widerhakenartige Silicahärchen auf der Außenseite der Grannen sorgen dafür, dass sich die Saat nur abwärts bewegen kann, wie Forscher nun in der Fachzeitschrift „Science“ berichten. Angetrieben wird das Weizenkorn dabei durch den Wechsel der Luftfeuchtigkeit: In der trockenen Luft des Tages biegen sich die Borsten nach außen. Nachts, vom Tau angefeuchtet, strecken sie sich dagegen. Dieser Mechanismus könnte sich möglicherweise auch auf Mikromaschinen übertragen lassen.

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Die Grannen des Wilden Weizens sind Steuer und Motor in einem: Sie steuern ein reifes Korn mit der Spitze abwärts zu Boden, indem sie die Saat im Fallen richtig ausbalancieren. Steckt das Korn dann in der Erde, verwandeln es die beiden Borsten in einen Bohrer und treiben das Korn in die Krume. Die Kraft dazu gibt ihnen alleine die Luft, die an den natürlichen Standorten des Wilden Weizens tagsüber trocken und nachts feucht ist. Der Weizen, den Landwirte anbauen, beherrscht den Trick dagegen nicht mehr.

Granne als einfache Bohrmaschine

Während des trockenen Tags krümmen sich die beiden Grannen nach außen, in der feuchten Nacht biegen sie sich dagegen zueinander. Denn die Kappe der Granne – die Seite also, die sie ihrer Partnergranne zuwenden – reagiert anders auf Feuchtigkeit als ihre Außenseite. Das liegt an der Konstruktion ihrer Zellulosefasern, die Biologen Fibrillen nennen: In der Kappe sind die Zellulosefibrillen ausschließlich parallel zur Granne angeordnet. Im unteren Teil des Grannenrückens sind sie dagegen beliebig orientiert. Das macht die Kappe nicht nur zehnmal steifer als den Rücken.

Die Anordnung macht die Granne auch zu einer einfachen Bohrmaschine. Wird es nämlich feucht, schwellen alle Fibrillen nur in ihrer Breite an. Das heißt aber: Die Grannenkappe quillt nur seitlich auf, da dort alle Fasern in Längsrichtung verlaufen. Der Grannenrücken streckt sich dagegen, da einige seiner Fasern auch senkrecht zu der Borste liegen. Und mit ihm richtet sich die ganze Granne auf.

Feine Härchen als Anker

„Der Mechanismus ähnelt dem beim Öffnen von Tannenzapfen“, sagt Rivka Elbaum, eine beteiligte Wissenschaftlerin und Humboldt-Stipendiatin am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung. „Der mittlere Bereich des Grannenrückens funktioniert wie ein Muskel, der die Grannen beugt und streckt.“ Der Muskel alleine reicht aber noch nicht, damit sich die Körner in die Erde bohren können. Das geht nur dank der feinen Silica-, also Glashärchen, auf ihrer Außenseite. Die Härchen wirken wie Widerhaken, was auch deutlich zu spüren ist, wenn wir Grannen durch unsere Hände gleiten lassen: Vom Korn weg gestrichen laufen sie geschmeidig über die Haut, zum Korn hin ist der Widerstand der Härchen deutlich zu spüren.

Diese Silicahärchen verhindern, dass sich die Grannen aus der Erde schieben, wenn sich die Borsten nachts strecken. Sie können sich nur in die Erde bewegen und schieben das Korn so Nacht für Nacht ein bisschen tiefer in die Erde. Das fanden die Wissenschaftler heraus, indem sie ein Weizenkorn und den unteren Teil seiner Grannen in ein Tuch einschlugen. In dem Stoff verhakten sich die Silicahärchen. Nun erhöhten und senkten die Forscher die Luftfeuchtigkeit abwechselnd. Tatsächlich rutschte das Korn mit jedem Feuchtigkeitszyklus ein bisschen tiefer in das Tuch.

„Der wilde Weizen nutzt diesen Mechanismus, um sich zu verbreiten“, sagt Prof. Peter Fratzl, Direktor am Potsdamer Max-Planck-Institut und Leiter der Forschergruppe. Denn die Grannen treiben den Samen mit ihren Schwimmbewegungen nicht nur in die Erde, sondern bewegen ihn auch über die Erde. „Wir haben nach dem Mechanismus der Grannen bereits einfache Maschinen und Muskeln gebaut, die Veränderungen der Luftfeuchtigkeit in Bewegung umsetzen“, sagt Fratzl. Er sieht darin auch einen möglichen Beitrag, erneuerbare Energien zu nutzen: „Mich fasziniert die Möglichkeit, die Energie der Sonne auf diese Weise in Bewegung umzusetzen.“

(Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, 11.05.2007 – AHE)

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