Medikamente mit dem Wirkstoff Chondroitin werden häufig bei Arthrose gegeben, um den Knorpelaufbau zu unterstützen und die Schmerzen zu lindern. Doch wie Schweizer Forscher jetzt in einer umfassenden Überprüfung der vorhandenen klinischen Studien herausgefunden haben, ist das Chondroitin gerade bei schwerer Arthrose wirkungslos.
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Arthrose ist eine der häufigsten Erkrankungen des Bewegungsapparates. In Deutschland leidet nahezu jeder vierte Mensch an dieser schmerzhaften Abnutzung der Knorpelschicht in Knie- und Hüftgelenken. Frauen sind etwas häufiger betroffen als Männer. Gegen die Schmerzen Häufig verwendet werden Schmerzmittel oder nicht-steroidale Entzündungshemmer, aber auch Präparate wie Chondroitin. Als Chondroitinsulfat ist dieses ein Bestandteil des Knorpelgewebes und soll den Knorpelaufbau unterstützen. Die Therapiedauer beträgt meistens mehrere Monate. Der Jahresumsatz für Chondroitin in Nordamerika und Europa wird auf mehr als zwei Milliarden Franken geschätzt.
Meta-Analyse enthüllt Studien-Schwächen
Ein Team der Universität Bern um die klinischen Epidemiologen Stephan Reichenbach und Peter Jüni vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin und den Kliniken für Allgemeine Innere Medizin und Rheumatologie hat nun alle weltweit vorhandenen Studien zu Chondroitin einer Meta-Analyse unterzogen. In einer solchen Meta-Analyse werden Einzel-Studien zusammengefasst und auf ihre Qualität geprüft, um Einflüsse, welche die Resultate der Studien verzerren können, zu entlarven.
„Die Qualität der einzelnen Chondroitin-Studien war sehr unterschiedlich“, sagt Forschungsleiter Peter Jüni. „Doch je sorgfältiger eine Studie durchgeführt worden war, desto weniger konnte eine positive Wirkung des Medikaments gefunden werden.“ Nach einer ausgedehnten Literaturrecherche schlossen die Wissenschaftler 20 randomisierte klinische Studien mit insgesamt 3.846 Patienten, in denen die Wirkung von Chondroitin im Vergleich zu einer Nichtbehandlung oder zu einem Scheinmedikament untersucht worden war, in ihre Meta-Analyse ein.
Keine schmerzlindernde Wirkung
Bei diesen Studien verglichen die Forscher die Resultate bezüglich des schmerzlindernden Effekts sowie – falls vorhanden – bezüglich des radiologisch ausgemessenen Gelenkspalts vor und nach der Therapie. Vor allem kleinere Studien aus den frühen 1990er-Jahren zeigten eine mäßige bis starke schmerzlindernde Wirkung von Chondroitin. In den drei größten Studien jedoch, in denen über 40 Prozent aller in die Meta-Analyse einbezogenen Patienten untersucht wurden, konnte keine schmerzlindernde Wirkung von Chondroitin gefunden werden.
„Diese Studien waren qualitativ eindeutig die besten“, so Jüni. Sie seien sauber randomisiert, umfassten eine genügend hohe Anzahl Patienten und alle Patienten wurden am Schluss in die Analyse eingeschlossen. „Die guten und großen Studien sind alle aus den Jahren 2005 und 2006“, stellt Jüni fest. „Basierend auf unseren Kriterien sind die klinischen Studien zu Chondroitin mit der Zeit immer besser geworden. Je länger und je gründlicher man nach einer Wirkung von Chondroitin suchte, umso weniger fand man sie.“ Auch die Auswertung der Gelenkspalt-Messungen ergab keine eindeutigen Hinweise für einen klinisch relevanten Effekt von Chondroitin. „Die Gelenkspalt-Messungen waren allerdings nicht Hauptgegenstand unserer Untersuchung“, sagt Jüni. „Für unsere Patientinnen und Patienten und uns steht die schmerzlindernde Wirkung eines Medikamentes im Vordergrund.“
Mehr Forschung nötig
Stephan Reichenbach fasst die Ergebnisse der Meta-Analyse wie folgt zusammen: „Bei fortgeschrittener Arthrose nützen Chondroitin-Präparate wahrscheinlich nicht besser als ein Scheinmedikament.“ Da in den neuesten Studien, in denen sich Chondroitin als nutzlos erwies, vermehrt Patienten mit fortgeschrittener Arthrose untersucht wurden, können die Forschenden nicht vollständig ausschliessen, dass Chondroitin bei leichter Arthrose eine gewisse Wirkung zeigt.
„Bisher finden wir jedoch keine robuste Evidenz, welche eine schmerzlindernde Wirkung von Chondroitin bei leichtgradiger Arthrose belegen würde,“ sagt Reichenbach. „Die positive Meldung ist aber, dass die Präparate wahrscheinlich sicher sind.“ In den analysierten Studien hatten Medikament und Scheinmedikament ähnliche Nebenwirkungsraten.
Künftige Behandlungen mit Chondroitin sollten laut Jüni nur im Rahmen von randomisierten klinischen Studien bei leichtgradiger Arthrose verschrieben werden, damit möglichst bald möglichst verlässliche Daten vorliegen. „Zudem sind die Herstellerfirmen nun aufgefordert, unabhängigen Forschern Einsicht in die individuellen Patientendaten der bisherigen Studien zu gewähren“, meint Jüni. Nur so könne man herausfinden, ob Chondroitin bei leichter Arthrose vielleicht doch wirke.
(Universität Bern, 19.04.2007 – NPO)