GeoUnion

Launische Küstenlängen

Maßstab entscheidet über die Ausdehnung von Küstenlinien

Küstenlinie © Aztech

Geographen vermessen gerne: Sie geben Zahlen an für die wirtschaftlichen Kriterien eines Landes, sie sagen wie hoch ein Gebirge, wie tief ein Meer und wie breit eine Meerenge ist. Viele dieser Zahlen sind absolut – sie verändern sich kaum oder nur geringfügig von Messung zu Messung. Umso erstaunlicher, dass es fast unmöglich ist, eine Aussage über die wahre Länge einer Küstenlinie zu geben.

Schon 1967 veröffentliche der Chaostheoretiker Benoit Mandelbrot einen Artikel in der Zeitschrift Science mit dem Titel „Wie lang ist die Küste Großbritanniens?“ Ihm war aufgefallen, dass in verschiedenen Nachschlagewerken darüber recht unterschiedliche Angaben gemacht wurden. Mit dem Buch Die fraktale Geometrie der Natur weitete er die Frage auf die Beschreibung natürlicher Formen, wie Berge, Wolken und anderes aus. Das Problem ist nicht nur ein vertracktes, es ist vor allem ein fraktales Problem. Denn, je genauer man misst, umso länger wird die Küste. Doch wie kann das sein?

Erstaunliches Gedankenexperiment

Ein Schiffbrüchiger will wissen, wie groß seine Insel ist. Dazu misst er mit einem der wenigen von seinem Schiff angeschwemmten Gegenstände, einem Metermaß, die Küste aus. Er legt es fein säuberlich ein ums andere Mal hintereinander und zählt, wie oft er es angelegt hat, bevor er wieder an seiner Startmarke angekommen ist. Dabei kann er natürlich Unregelmäßigkeiten in der Küste, die unterhalb des Metermaßstabes liegen nur schwer erfassen. Hat er jedoch nur ein zehn Zentimeter langes Lineal retten können, so dauert dieselbe Aktion nicht nur wesentlich länger, sondern die resultierende Küstenlänge wird wesentlich höher liegen. Er kann ja mit dem kürzeren Lineal wesentlich genauer der tatsächlichen Küstenlinie folgen.

Die Kraft der Brandung zertrümmert Gesteine und formt die Küste. © Andreas Heitkamp

Es ist also klar: Je kleiner der Maßstab gewählt wird, umso länger wird die Küstelinie. Dies kann man bis ins Unendliche treiben, bis sogar hinunter zu den Unregelmäßigkeiten der kleinsten Sandkörner. Das wäre für das tägliche Leben jedoch wenig tauglich. Dennoch bleibt die Frage, wie lang die Küsten nun eigentlich wirklich sind. Das hängt – wie so vieles – ganz vom angelegten Maßstab ab.

Mittlerer Maßstab als Anhaltspunkt

Global gesehen, sieht es folgendermaßen aus: Die einzelnen Kontinente haben bei einem mittleren Maßstab von 1:200.000 etwa folgende Werte:

Afrika: 30.500 Kilometer

Amerika: 104.200 Kilometer

Antarktis: 24.300 Kilometer

Asien: 70.600 Kilometer

Australien: 19.500 Kilometer

Europa: 37.200 Kilometer

Gesamt: 286.300 Kilometer.

Betrachtet man nun einzelne Länder, so wird es schwieriger. Bei einer stark zergliederten Fjordküste variiert die Länge typischerweise um den Faktor fünf – je nachdem, ob man Karten im Maßstab 1:30 Millionen oder 1:50.000 zugrunde legt. Bei Wikipedia findet sich eine Tabelle mit den Küstenlängen der Länder der Welt. Angeführt wird diese Tabelle von Kanada mit 202.000 Kilometern Küstenlinie. Dazu zählen natürlich neben der Hudson Bay auch die vielen kleinen Inseln im Nordpolarmeer. Seine Küsten machen fast 96 Prozent der gesamten Begrenzung des Landes aus – nicht zu verwechseln mit der politischen Grenze.

Bakterien © CDC

Die knapp 9.000 Kilometer lange Grenze zu den USA verliert sich dagegen. An zweiter Stelle steht übrigens Norwegen, mit immerhin noch 83.000 Kilometern Küstenlänge – für ein Land mit einer maximalen Ausdehnung von etwa 1.400 Kilometern beeindruckend. Allerdings wäre die Atlantikküste ohne Inseln und Fjorde nur 2.650 Kilometer lang.

Küstenland Deutschland

Deutschland liegt mit knapp 2.400 Kilometern Küstenlänge immerhin auf Platz 51 von fast 200 Ländern. Und man sollte es nicht glauben, das sind fast 40 Prozent der gesamten Grenze – dank der vielen Inseln in Nord- und Ostsee. Die kürzeste Küstenlinie hat Monaco, mit etwa vier Kilometern, das aber immerhin die Hälfte seiner Gesamtgrenzen ausmacht. Übrigens gibt es nur 39 Länder, die keine Küste besitzen. Dazu gehört, neben der Schweiz und dem Vatikan, als größtes Land ohne Meerzugang auch die Mongolei.

Die Daten für die Länderküstenlinien stammen übrigens aus dem CIA World Fact Book – und wie so vieles beim CIA unterliegt auch der Maßstab auf den sich diese Daten beziehen leider der Geheimhaltung, zumindest sind sie nicht angegeben. Für die Länge der gemeinsamen Grenzen von Ländern warnen sie allerdings, dass aufgrund verschiedener Maßstäbe die Grenze beispielsweise Angola-Namibia länger sein könnte als die Grenze Namibia-Angola.

(Kirsten Achenbach, MARUM_Forschungszentrum Ozeanränder, 04.04.2007 – AHE)

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