Geowissen

Gletscherverhalten unberechenbar

Grönlands Eisriesen foppen Klimaforscher

Kalbungszone des Helheim Gletschers im Südosten Grönlands. © NASA/JPL

Die Reaktion der Gletscher auf die globale Erwärmung ist weitaus komplexer als bisher angenommen. Wie Forscher jetzt in „Science“ berichten, sind zwei der größten Eisströme Grönlands zwar zwischen 2004 und 2005 extrem schnell abgetaut, haben aber inzwischen ihre Schmelzgeschwindigkeit wieder normalisiert. Möglicherweise sind solche „Pulse“ beschleunigten Schmelzens, aber auch plötzliche Kollapse, typisch für die Klimafolgen in den Polarregionen.

Noch vor einem Jahr warnten Forscher in der Zeitschrift Science, dass sich die Geschwindigkeit, mit der Grönlands Gletscher schmelzen, zwischen 2000 und 2005 nahezu verdoppelt habe. Dies führte zu der Annahme, dass auch zukünftig die Erwärmung eine allmähliche Beschleunigung des Abtauens auslösen könnte. Doch jetzt scheinen neue Daten diese Vermutung widerlegt zu haben: Wissenschaftler der Universitäten von Washington und Colorado untersuchten die Gletscher Kangerdlugssuaq und Helheim im Südosten Grönlands. Die Fronten beider Gletscher münden direkt ins Meer und zusammen sind sie für 35 Prozent des Eisabflusses von ganz Grönland verantwortlich.

Pulsierend vor- und zurück

Die Messungen zeigten, dass am Kangerdlugssuaq der größte Eisverlust im Jahr 2005 aufgetreten war, mehr als 80 Prozent Anstieg in einem einzigen Jahr wurden hier registriert. 2006 jedoch fielen die Abtaugeschwindigkeiten wieder um 25 Prozent ab. Ähnliches beobachteten die Forscher auch am Helheim: Auch hier gipfelte die Abflussgeschwindigkeit des Eises zwischen 2004 und 2005, um dann wieder leicht abzusinken.

“Obwohl sich die Schrumpfungsraten dieser beiden Gletscher wieder stabilisiert haben, wissen wir nicht, ob sie jetzt stabil bleiben werden, wieder anwachsen oder aber in der nahen Zukunft kollabieren“, erklärt Ian Howat, Glaziologe am National Snow and Ice Data Center der Universität von Colorado. „Unsere Haupterkenntnis ist, dass das Verhalten dieser Gletscher sich von Jahr zu Jahr ändert, so dass wir nicht davon ausgehen können, das zukünftige Verhalten aufgrund von gegenwärtigen Veränderungen vorhersagen zu können.“

Nach Ansicht des Forschers könnte die zukünftige Erwärmung eher zu schnellen Pulsen von Vorrücken und verstärktem Schmelzen führen als zu einem langsamen gleichmäßigen Rückzug. Verantwortlich für die jetzt an den beiden Grönland-Gletschern beobachteten Wechsel ist nach Ansicht der Wissenschaftler die sich während des schnellen Abtauens verändernde Form der Eisriesen: Sie wurden länger und dünner und die Eisfront, die anfänglich auf dem Wasser schwamm, senkte sich mit zunehmendem Eisverlust wieder ab und bremste so den Eisstrom. Aber inwieweit dieser Prozess auch bei anderen Gletschern zum Tragen kommen könnte, ist bisher noch absolut unklar.

Zu wenig Wissen für genaue Prognosen

Dieser Unsicherheit in der Vorhersage des Gletscherverhaltens trugen auch die Wissenschaftler des IPCC-Gremiums Rechnung, die in ihrem am 2. Februar 2007 erschienenen Klimabericht zwar schreiben, dass der Klimawandel eine erhöhte Anfälligkeit der Gletscher nach sich ziehe, aber dass das Verständnis der damit verbundenen Prozesse extrem begrenzt sei und es daher keinen Konsens über das Ausmaß der Folgen gebe. „Ich denke, dass die IPCC-Autoren hier eine verantwortliche Entscheidung getroffen haben, indem sie die beschleunigten Schmelzraten zwar als besorgniserregend bezeichneten, aber gleichzeitig betonten, dass wir noch nicht genug wissen, um genaue Vorhersagen zu treffen“, kommentiert Ian Joughin, Glaziologe von der Universität von Washington und Co-Autor der aktuellen Science-Studie.

Die jetzigen Untersuchungen – ihre eigenen mit eingeschlossen – seien zudem gerade einmal kurze und noch dazu unvollständige Schnappschüsse der Gletscherentwicklung. „Ereignisse in gerade mal zwei kurzen Jahren bei diesen Gletschern, – das entspricht nicht der klassische Denkweisen von Glaziologen“, erklärt Howat. „Wir denken bei den Eisdecken normalerweise in Größenordnungen von Jahrhunderten oder sogar Jahrmillionen.“

(University of Washington, 13.02.2007 – NPO)

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