Dass Vögel ihren Gesang als Lockruf und Werbung einsetzen, ist nichts Neues. Doch zur großen Überraschung der Forscher gibt es Tiere, die das Singen noch ganz anders nutzen: Gibbons singen, um Raubtiere abzuschrecken und Artgenossen zu warnen.
Gibbons sind dafür bekannt, besonders laute und eindrucksvolle “Gesänge” von sich zu geben. Diese sind weithin hörbar und gehören zum täglichen Repertoire der Affen – beispielsweise in Form des „Morgenduetts“ von Gibbonpaaren. Andere Gesänge wurden zwar bisher auch beobachtet, nicht aber näher erforscht. Jetzt haben Esther Clarke und Klaus Zuberbuhler von der britischen Universität von St. Andrews und Ulrich Reichard vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig das Gesangsverhalten von Weißhandgibbons im thailändischen Khao Yai National Park genauer untersucht. Im Mittelpunkt standen dabei die Gesänge, die die Affen als Reaktion auf Fressfeinde wie Großkatzen, Schlangen oder Greifvögel anstimmen.
“Morgenduett“ und Abwehrgesang
“Wir sind an den Gibbongesängen interessiert, weil diese Vokalisationen, neben der menschlichen Sprache, einen bemerkenswerten Fall von akustisch ausgefeilter und vielseitiger Kommunikation im Primatenreich darstellen“, erklärt Clarke. Konkret wollten die Wissenschaftler herausfinden, ob sich die typischen „Morgenduette“ von den Abwehrgesängen auch in gesanglicher Hinsicht unterschieden und ob und wie sie zur Kommunikation mit Artgenossen eingesetzt werden.
Es zeigte sich, dass es tatsächlich bereits in den ersten Noten deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Gesangstypen gab. Die Abwehrgesänge begannen in der Regel mit einer Reihe von sehr sanften, nur im Nahbereich hörbaren Tönen, steigerten sich dann aber sehr rasch zu durchdringenden Rufen, die auch über weite Entfernungen gehört werden konnten.
Komplexe und flexible Kombination von Rufen
„Wir stellten fest, dass die Gibbons laute und auffallende Gesänge als Reaktion auf Prädatoren erzeugen, um ihre Verwandten zu warnen“, berichten die Forscher in der Fachzeitschrift „PLoS ONE“. „Da Gibbons ihre Gruppenzusammensetzung häufig ändern, können nahe Verwandte auch in weiter entfernten, benachbarten Gruppen leben. Die Gibbons warnten diese durch ihre Fernrufe und die Gruppen stimmten als Reaktion in den Gesang ein. Dabei wählten sie jeweils den korrekten, predator-spezifischen Gesang, ein Zeichen, dass sie die Botschaft des Rufs verstanden hatten.“
“Nicht unähnlich dem Menschen verbinden die Gibbons eine bestimmte Anzahl von ‘Strophen’ zu komplexeren Strukturen, um jeweils unterschiedliche Botschaften zu vermitteln”, so Clarke. „Unsere Untersuchungen zeigen, dass auch weit entfernte Individuen zwischen den verschiedenen Gesangstypen unterschieden und verstehen, was sie bedeuten.“
Rückschluss auf Evolution der Kommunikation
„Dies ist ein guter Indikator dafür, dass auch nichtmenschliche Primaten dazu fähig sind, Kombinationen von in anderen Kontexten gebräuchlichen Rufen zur Vermittlung von etwas Neuem und in diesem Fall potenziell lebensrettendem einzusetzen“, fährt die Forscherin fort. „Diese Art der referenziellen Kommunikation ist in der menschlichen Sprache alltäglich, wie verbreitet sie bei unseren nächsten lebenden Verwandten, den Affen, ist, muss jedoch erst noch erforscht werden.“
Die Entdeckung einer solchen relativ komplexen Kommunikation hat nach Ansicht der Forscher auch deshalb einen so hohen Stellenwert, weil die Gibbons in mehreren Aspekten als Bindeglied zwischen Menschenaffen und den anderen Affenarten darstellen. Damit sind auch Rückschlüsse darauf möglich, wann sich diese Fähigkeit in der Evolution der Primaten entwickelte.
(St. Andrews University, 29.12.2006 – NPO)