Das Botulismus-Toxin gehört zu den stärksten Nervengiften überhaupt. Schon ein einziges Giftmolekül reicht aus, um eine Nervenzelle komplett außer Gefecht zu setzen. Aber warum? Die strukturelle Basis dieser starken Wechselwirkung haben Forscher jetzt aufgeklärt und berichten darüber im Journal „Nature“. Die Erkenntnisse eröffnen nun neue Ansätze auch für die Therapie.
Schon kleinste Mengen des Botulismus-Toxins verursachen Muskellähmungen, Atemausfall und schlimmstenfalls den Tod. Produziert wird das Gift vom Bakterium Clostridium botulinum, das durch verdorbene Lebensmittel, infizierte Wunden oder auch über Infektionen des Darmbereichs übertragen wird. Gleichzeitig gilt das Toxin auch als eines der sechs als Hochrisiko-Gifte im Zusammenhang mit dem Einsatz von Biowaffen durch Terroristen.
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Bindung in zwei Stufen
Schon seit längerem vermuten Wissenschaftler, dass das Gift seine enorme Wirksamkeit einem speziellen, zweistufigen Bindungsprozess mit den Nervenzellen verdankt. Details dieser Bindung waren aber noch unbekannt. Jetzt haben Forscher der Scripps Research Institution mithilfe der Röntgenkristallographie erstmals molekulare Schnappschüsse des Botulismus-Toxins Typ B und der kritischen Bindungstelle an Nervenrezeptoren erstellt. Zusammen mit Kollegen der Universitäten Wisconsin und Madison, sowie des Howard Hughes Medical Institute gelang ihnen aus diesen Daten erstmals zu entnehmen, wie die Bindung zwischen Gift und Nervenzelle abläuft.
Es zeigte sich, dass das Botulismus-Toxin sich zunächst an ein Protein an der Nervenoberfläche bindet. Dabei docken Rezeptoren der Nervenzelle an zwei parallelen schmalen Gruben auf der Toxinoberfläche an. DA diese Rezeptoren nur bei aktiven Nervenzellen exponiert sind, greift das Gift auf diese Weise genau die Zellen an, die für das Opfer besonders wichtig sind, beispielsweise Nervenzellen im Atmungsapparat, die im Dauereinsatz stehen.
Zweite Bindung sorgt für optimale Orientierung
Auch einen zweiten Schritt des Bindungsprozesses konnte das Forscherteam modellieren: Hier bindet eine weitere Region des Toxins an einen Zucker, das so genannte Gangliosid, der auf der Zelloberfläche von Neuronen meist in der nähe der Proteinrezeptoren sitzt und so als zweite Bindungsstelle dient. Diese Doppelbindung erst platziert das Giftmolekül so, dass es die Hülle der Nervenzelle durchdringen kann und die für die Signalübertragung wichtigen Proteine zerstören.
„Die Struktur trägt endlich dazu bei, einen Teil des Rätsels zu lösen, wie ein so großes Protein durch den Körper wandern kann und die neuromuskulären Übergänge mit so großer Affinität und Effektivität findet“, erklärt Raymond Stevens, Professor am Scripps Forschungszentrum und Mitautor der Studie.
Therapie durch gezielte Blockade der Bindungsstellen
Die Entschlüsselung der Bindungsstruktur eröffnet nun auch die Möglichkeit neuer Therapien. Bisher basiert die Behandlung einer Infektion mit Clostridium botulinum auf einem Cocktail von Antikörpern aus Pferdeserum. Hierbei treten allerdings häufig Abstoßungsreaktionen auf, im Extremfall kann ein anaphylaktischer Schock die Folge sein. Mit den neuen Erkenntnissen könnten nun gezielt Antikörper entwickelt werden, die diese Probleme nicht hervorrufen. Gleichzeitig wird auch die Produktion von Therapeutika gegen die Giftwirkung möglich: „Man könnte kleinere Verbindungen synthetisieren, die diese Interaktionen nachahmen“, erklärt Röntgen-Kristallograph Joseph Arndt. „Wenn man die Rezeptorerkennung gezielt blockiert, kann das Toxin nicht in die Nervenzelle aufgenommen werden und wird so inaktiviert.“
Aber auch eine ganz andere Anwendung wäre denkbar: Denn das Toxin wird in bestimmten Fällen auch zu medizinischen Zwecken eingesetzt. So kann es beispielsweise bei Kinderlähmung oder Multipler Sklerose überaktive Nervenreaktionen dämpfen und so den Patienten Erleichterung verschaffen. Einige Patienten sprechen jedoch auf diese Behandlung nicht an – möglicherweise, weil die Rezeptoren auf ihren Nervenzellen eine Anordnung aufweisen, die eine Bindung des Toxins verhindert. Hier könnten gezielt Toxine entwickelt werden, die auch an diese abweichenden Bindungsstellen andocken können.
(Scripps Research Institute, 20.12.2006 – NPO)