21 Millionen Menschen erkranken noch heute jährlich an Typhus, 200.000 sterben sogar daran. Ursache der Krankheit sind Bakterien vom Typ Salmonella typhi. Ein internationales Wissenschaftlerteam hat jetzt die Evolution des Bakteriums erforscht und dabei eine alte Theorie von Robert Koch bestätigt. Danach spielten gesunde Träger bei der Evolution und globalen Verteilung dieser Mikroben eine wichtige Rolle. Bereits 1902 hatte Koch aufgrund der Bedeutung der gesunden Träger vorausgesagt, dass weder die Behandlung dieser Krankheit mit Antibiotika noch eine globale Impfkampagne ausreichen wird, um sie auszurotten.
Die in der aktuellen Ausgabe von Science vorgestellten Ergebnisse erhellen aber auch die Mechanismen, die aufgrund der weit verbreiteten Antibiotika-Behandlung zu Antibiotika-Resistenz führen.
Die Wissenschaftler aus der Max-Planck Gesellschaft, dem Wellcome Trust (UK, sowie Vietnam) und dem Institut Pasteur (Frankreich) warnen, dass die Behandlung von Akuterkrankten in Südostasien seit 1991 zum Auftreten von mehreren, unabhängigen Mutanten geführt hat, die gegen diese Behandlung resistent sind, und dass eine eng verwandte Gruppe dieser Mutanten, H58 genannt, sich stark vermehrt und inzwischen auch Afrika erreicht hat.
Sammlung aus 105 Typhi-Stämmen
Für die Gesundheit in Schwellenländern ist Typhus eine große Gefahr. Zwar verursacht Salmonella typhi auch in Europa und Amerika immer wieder Krankheitsfälle, doch seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist Typhus dort seltener geworden. Die Evolutionsgeschichte und Populationsstruktur von Typhi war bisher wenig untersucht. Um die evolutionäre Geschichte dieses Bakteriums aufzuklären, hat eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern in einer gemeinsamen Anstrengung jetzt erstmals eine global repräsentative Sammlung aus 105 Typhi-Stämmen zusammengestellt und die Sequenz von 90.000 Basenpaaren in jedem der Stämme auf Unterschiede hin geprüft.
Die Wissenschaftler um Mark Achtman und Philippe Roumagnac vom Max-Planck Institut für Infektionsbiologie in Berlin entdeckten 88 informative Sequenzpolymorphismen, die zeigen, dass sich die Populationsstruktur von Typhi über die letzten 10.000 bis 43.000 Jahre entwickelt hat. Erstaunlicherweise haben der Urstamm sowie mehrere seiner direkten Nachkommen bis heute überlebt. Das ist ein Zeichen für eine neutrale Populationsstruktur und steht im Gegensatz zu anderen Bakterien, bei denen Selektion zum Aussterben von intermediären Genotypen geführt hat. Diese ursprünglichen Genotypen sind auch global verteilt, ein Beweis, dass Typhi sich mehrere Male über den gesamten Globus ausgebreitet hat.
"Wir vermuten, dass diese ungewöhnliche Populationsstruktur von Typhi durch Dauerträger bedingt wird, ein Phänomen, das erstmalig intensiv in Deutschland zwischen 1902 und 1910 untersucht wurde", erklärt Achtman. International wurden Dauerträger berüchtigt durch "Mr. N the milker" aus England und "Typhoid Mary" aus den USA. Beide haben durch ihre Beschäftigung in der Lebensmittelindustrie Anfang des 20. Jahrhunderts Hunderte von Menschen infiziert. Nach Ansicht der Wissenschaftler haben Dauerträger das Überleben von Typhi unter Jägern und Sammlern erlaubt, noch bevor die menschliche Siedlungsdichte durch die neolitische Revolution vor 10.000 Jahren anstieg. Sie sind vielleicht auch für die weltweite Ausbreitung dieser Bakterien verantwortlich. Darüber hinaus haben Dauerträger das Überleben von Typhi wahrscheinlich über Jahrzehnte hinweg in einzelnen Ländern ermöglicht.
Antibiotika-Resistenzen nehmen zu
Die zunehmende Unempfindlicht gegen Antibiotika hat eine effektive Behandlung von Typhus in den letzten Jahrzehnten erschwert. Eine medizinische Behandlung mit Fluoroquinolonen wurde zum globalen Standard, weil sie wirksam und kostengünstig ist. Jedoch hat die weit verbreitete Benutzung von Fluoroquinolonen, die teilweise in Schwellenländern auch ohne Verschreibung erhältlich sind, auch einen erschreckenden Anstieg in der Zahl resistenter Typhi verursacht. Die Untersuchung zahlreicher Typhi-Stämme aus Südostasien hat jetzt gezeigt, dass die Resistenz gegen Nalidixinsäure, ein Quinolon, durch unabhängige Mutationen in mehreren Genotypen entstanden ist.
Einer dieser Genotypen, H58 genannt, hat sich mittlerweile dramatisch in Südostasien ausgebreitet und ist sogar schon nach Afrika gelangt. In Vietnam sind inzwischen bis zu 95 Prozent der Typhi unempfindlich gegen Nalidixinsäure sowie viele andere Antibiotika. Typhus-Erkrankungen durch solche Keime können zwar noch mit neueren Antibiotika erfolgreich behandelt werden, doch diese sind wesentlich teurer und belasten die medizinischen Haushalte der Schwellenländer stark. "Es ist zu erwarten, dass Typhi auch gegen diese Antibiotika resistent werden wird", betont Achtman.
"Unsere Untersuchungen machen die gravierenden Probleme in der Krankheitsbekämpfung deutlich. Zum einen kann der unkontrollierte Gebrauch von Antibiotika zur Entwicklung resistenter Bakterienstämme führen. Zum anderen stellen Dauerträger – hier werden weder die kurzfristige Behandlung mit Antibiotika noch die langzeitige Wirkung von Impfstoffen wirksam – einen sicheren Hafen für Typhi dar und werden deshalb voraussichtlich längerfristig dazu führen, dass Typhus eine Gefahr für die menschliche Gesundheit bleibt."
(MPG, 24.11.2006 – DLO)