Mikrohärchen mit Pilzkopf sind das Geheimnis eines neuen Haftmaterials, das Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Metallforschung in Stuttgart entwickelt haben. Die spezielle Oberflächenstruktur ist von Käferfußsohlen inspiriert und lässt das Material an glatten Wänden kleberfrei haften. Potenziellen Anwendungen reichen von wieder verwendbarem Klebeband bis hin zu Schuhsohlen für Kletterroboter und sind somit von großer technologischer Relevanz.
Schon seit einiger Zeit ist bekannt, wie Insekten, Spinnen und Geckos zu dem bemerkenswerten Talent kommen, an Wänden oder Decken spazieren zu gehen – extrem dünne Härchen lassen ihre Füße regelrecht an der Wand kleben. Je größer das Tier, desto feiner diese Haare. Die im Verhältnis zu einer Fliege schweren Geckos wenden bei der Gelegenheit schon seit Millionen Jahren Nanotechnik an. Nach Erkenntnissen der Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Metallforschung in Stuttgart ist die Form der Fasern auch ein bedeutender Faktor; besonders starke Haftung erzielen beispielsweise spatelförmige Haarenden.
Pilzform gab den Ausschlag
Diese Entdeckungen entfachten große Erwartungen: Kann man die Struktur der Insektenfußsohlen einfach kopieren und schon bald entsprechende biomimetische, also von der Natur inspirierte, Haftmaterialien im Alltag wieder finden? Doch die Forscher des Max-Planck-Instituts für Metallforschung und der Gottlieb Binder GmbH in Holzgerlingen, einem Spezialisten für Befestigungssysteme, mussten einen langen Atem haben, denn die ersten Generationen der mit verschiedenen Methoden erzeugten Oberflächen hafteten schlecht.
Jetzt sind die Wissenschaftler bei der Nachahmung des biologischen Haftmechanismus einen großen Schritt weiter gekommen. Sie entwickelten ein Material, dessen biomimetische Mikrostruktur exzellente Hafteigenschaften bewirkt. Die Entwicklung der künstlichen Strukturen basierte auf der Untersuchung der Fußsohlen mehrerer Käferarten. Deren besonders starke Haftkraft beruht auf speziell geformten Härchen, die an winzige Pilze erinnern.
Glatt geht am besten
In den strengen Prüfungen, die Forscher mit speziell für diesen Zweck entwickelten Messinstrumenten vornahmen, überzeugte das künstliche Haftsystem mit vielen Vorzügen. So hält es hunderte Anwendungen nacheinander durch, hinterlässt keine sichtbaren Spuren und regeniert sich vollständig von Verschmutzungen, wenn man es mit Seife wäscht. Die Forscher ermittelten, dass fünf Quadratzentimeter des Materials an Wänden mit glatten Oberflächen bis zu hundert Gramm schwere Gegenstände halten; an der Decke allerdings erheblich weniger. Glas oder poliertes Holz eignen sich gut als Unterlage, also glatte Strukturen – hingegen ist die Raufasertapete nicht gerade das Lieblingsterrain des Materials. "Aber Insekten haben auch Schwierigkeiten an Oberflächen mit feiner Rauigkeit zu laufen, dies ist ein grundsätzliches Problem des Haftmechanismus", erklärt der Projektleiter Stanislav Gorb.
Bei der Herstellung dient – wie beim Kuchenbacken – eine Form als Vorlage, in die gleichsam als Negativbild die gewünschte Oberfläche eingeprägt ist. Man füllt ein polymerisierendes Gemisch hinein, lässt es aushärten und trennt anschließend den Kunststoff von der Vorlage. Was hier so einfach klingt, war allerdings das Ergebnis langen Rumprobierens. Der Bau der Mikrostruktur-"Kuchenform" forderte die Forscher dabei am meistern heraus – wie das genau funktioniert, bleibt Betriebsgeheimnis. Aber auch die Optimierung der Polymer-Mischung brachte die Wissenschaftler ins Schwitzen; ist sie zu flüssig, fließt sie einfach aus der Form raus, ist sie zu viskos, gelangt sie gar nicht erst hinein.
Mikrohärchen statt Kleber oder Magnete
Die potenzielle Verwendung erstreckt sich von einer Schutzfolie für empfindliche Gläser bis zu wieder benutzbaren Klebunterlagen – Kühlschrankmagnete ade, jetzt kommen die Mikrohärchen, die allerdings auch an Spiegel, Schrank und Scheibe haften. In industriellen Produktionsprozessen findet man das neue Material beispielsweise bald bei der Fertigung von Glas-Bauteilen. Darüber hinaus bewies es seine Leistungsfähigkeit auch schon in höheren Gewichtsklassen: Ein 120 Gramm schwerer Roboter konnte mit den künstlichen Haftfasern an der Fußsohle eine senkrechte Glaswand ersteigen.
In ihrer aktuellen Forschung versuchen die Wissenschaftler die Haftung durch Verfeinerung der Strukturen noch zu verbessern. "Da hat die Arbeitsgruppe aber noch jede Menge Arbeit vor sich, denn was im Labor klappt, lässt sich noch lange nicht auf die großtechnischen Produktion übertragen", erläutert Stanislav Gorb.
(MPG, 24.10.2006 – NPO)