Wissenschaftsgeschichte

Anatomie einer wissenschaftlichen Revolution

Einsteins Relativitätstheorie entstand „auf den Schultern von Riesen und Zwergen“

E= mc² © NASA/MMCD

Die Theorien von Albert Einstein bilden nicht nur bis heute die Basis unseres physikalischen Weltbilds, seine Relativitätstheorie gilt auch als Revolution der Wissenschaft. Doch auch wissenschaftliche Umwälzungen wie diese sind kein einfacher radikaler Neuanfang, sondern das Resultat einer Neuorganisation überlieferten Wissens. Einstein stand gewissermaßehn auf den Schultern seiner Vorgänger. Das ist das Ergebnis der jetzt erschienenen bisher umfassendsten Untersuchung zur Struktur dieser wissenschaftlichen Revolution, der „Genesis of General Relativity".

Nach mehr als zehnjähriger Arbeit erscheint das vier Bände und mehr als 2.000 Seiten umfassende Werk zur Entstehung von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie, einer der wichtigsten physikalischen Theorien des 20. Jahrhunderts, jetzt im Springer-Verlag. Das von einem internationalen Autorenteam verfasste Werk enthält neue Einsichten in die Voraussetzungen und Bedingungen von Einsteins wissenschaftlicher Revolution, wie zum Beispiel in die Rolle weitgehend unbekannter Vorläufer und Mitstreiter Einsteins für die Formulierung einer Theorie, die heute die Grundlage der modernen Kosmologie darstellt. "Einstein hat diese Revolution nicht durch einen einsamen Geniestreich bewirkt, er stand vielmehr auf den Schultern von Riesen und Zwergen", sagt Jürgen Renn, Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin und Herausgeber des Werkes.

Physiker begeistert

Schon vorab hat diese Tiefenanalyse einer wissenschaftlichen Revolution breite Anerkennung unter Physikern und Wissenschaftshistorikern gefunden. Bernard Schutz, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, meint: "Dieses Werk verändert unsere Vorstellung davon, wie Einstein zur Allgemeinen Relativitätstheorie fand und welche physikalische Bedeutung sie für ihn und seine Zeitgenossen hatte. Als Physiker, der selbst in einer Zeit lebt, in der Physiker die Gravitation ein weiteres Mal neu entdecken, halte ich diese Darstellung nicht nur für faszinierend und dringend notwendig, sondern auch für höchst wichtig."

Auch William Unruh, Professor für Physik an der University of British Columbia, ist überzeugt: "Die Verbindung von Aufsätzen, die die historische und theoretische Situation interpretieren und erklären, mit den Übersetzungen der wichtigsten Quellenartikel der Zeit macht diese Bände für alle diejenigen unverzichtbar, die sich auch nur entfernt für den phänomenalen Aufbruch interessieren, welchem wir letztlich die Allgemeine Relativitätstheorie verdanken." Roger Stuewer, Professor an der University of Minnesota, preist die Bände als eine "außergewöhnliche intellektuelle Leistung, die in der Wissenschaftsgeschichte keine Parallele" findet.

Quellen, Essays und Kommentare erläutern Entstehung

Die Bände 1 und 2 enthalten sowohl Faksimile und Transkription wie auch einen wissenschaftlichen Kommentar zu Einsteins berühmtem Züricher Notizbuch von 1912-1913. Die im Züricher Notizbuch dokumentierten Forschungen stellen einen entscheidenden Bestandteil der Entwicklung der Relativitätstheorie dar. Verdeutlicht wird dies insbesondere auch durch die Essays, die das Schlüsselmaterial ergänzen und die Entstehung von Einsteins Theorie im Lichte der Analyse seines Notizbuches neu interpretieren.

Die Bände 3 und 4 beinhalten zusätzliche Quellentexte Einsteins und seiner Zeitgenossen, die vom späten 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert zur dieser Bahn brechenden Entwicklung mit beigetragen haben. Die Quellen, von denen die Mehrzahl hier zum ersten Mal in einer Übersetzung vorliegt, werden durch Essays führender Historiker der Relativitätstheorie erschlossen, die neue Einsichten in den weiteren wissenschaftlichen Kontext bieten, in welchem Einsteins Theorie entstand. Als Ergebnis von mehr als einer Dekade Forschungsarbeit bieten diese vier Bände eine tiefgreifende Untersuchung einer der wichtigsten Revolutionen in der Geschichte der Wissenschaft.

Die Bände werden durch weitere Quellen ergänzt, die im Internet frei verfügbar gemacht werden – als Teil der virtuellen Einstein-Ausstellung des Max-Planck-Instituts (http://einstein-virtuell.mpiwg-berlin.mpg.de/intro). Wesentliche Ergebnisse der jahrzehntelangen Forschungen – vor allem die Einsichten in die Mechanismen einer wissenschaftlichen Revolution – sind auch in einer dem breiteren Publikum zugänglichen Darstellung in dem kürzlich im Wiley-Verlag erschienenen Buch von Jürgen Renn "Auf den Schultern von Riesen und Zwergen – Einsteins unvollendete Revolution" zu finden.

(MPG, 31.07.2006 – NPO)

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