GeoUnion

Comeback der Salzwiesen

Freilandversuch zeigt Vegetationsveränderungen durch steigenden Meeresspiegel

Ehemaliger und seit 2004 entfernter Deich © J. Barkowski, ICBM-Meeresstation

Wie verändert sich die Vegetation an der Küste, wenn der Meeresspiegel steigt? Dieser Frage gehen deutsche Wissenschaftler in einem Freilandversuch auf der Nordseeinsel Langeoog nach. Durch die Entfernung eines Sommerdeiches hatten sie vor zwei Jahren mehr als 200 Hektar Grünland dem Einfluss des Meeres preisgegeben. Erwartungsgemäß stieg seitdem der Salzgehalt des Bodens an und ermöglicht so die verstärkte Ausbreitung salztoleranter Pflanzen. Doch es gibt auch Überraschungen, wie die explosionsartige Vermehrung von Strandbeifuß und Spießmelde.

Die Bewohner der Ostfriesischen Inseln schützen schon seit dem Mittelalter ihr weidendes Vieh durch Deiche vor der Gewalt des Meers. Als Folge dieser so genannte Einpolderung süßten jedoch die ehemaligen Salzwiesen aus und typische Pflanzen vor allem der unteren, wattennahen Wiesen verschwanden. Die Beweidung tat ihr übriges: Besonders verbiss- und trittresistentes Grün breitete sich bevorzugt aus. So geschehen auch auf Langeoog ab Mitte der 1930er Jahre. Seitdem trennte dort ein fünfeinhalb Kilometer langer Damm zwischen Accumer Ee und Otzumer Balje etwa 218 Hektar Grünland vom Einfluss des Meeres ab – bis er im Herbst 2004 eingerissen wurde.

Von der Weide zur Salzwiese

Seitdem beobachten Jan Barkowski, Kerstin Kolditz und ihre Kollegen vom Wilhelmshavener TERRAMARE und des Instituts für Chemie und Biologie des Meeres der Universität Oldenburg was passiert, wenn das Meer an den von ihm überspülten Gestaden immer mehr die Regie übernimmt. Barkowski widmet sich überwiegend den Veränderungen im Bewuchs des Polders, Kolditz befasst sich hingegen vor allem mit dem Verbleib metallischer Elemente im wiedererstehenden Salzwiesenbereich.

Boddenbinse © J. Barkowski, ICBM-Meeresstation

Schon nach diesen ersten beiden Jahren sind Veränderungen im Langeooger Sommerpolder zu bemerken. Einige Bestände des – für den Laien auf den ersten Blick freilich recht unscheinbaren – Grüns seien regelrecht explodiert, erläutert Barkowski. So habe sich die Fläche des Strandbeifußes auf fast 40 Hektar verdoppelt. Auch Spießmelde und Strandsode hätten sich massiv vermehrt. Die Bodden-Binse sei hingegen in doppelter Hinsicht ein Verlierer der Deichöffnung: Trittschäden und Verbiss an Konkurrenzpflanzen begünstigten die Binse in ihrer Ausbreitung, der Fortfall der Beweidung und steigende Salzgehalte machen ihr nunmehr zu schaffen. Seit 2004 haben sich die Bestände halbiert.

Nährstoffschwemme durch Pflanzen und Regen

Warum Strandbeifuß und Konsorten sich derzeit so schnell ausbreiten, darüber rätseln die Forscher noch. Freilich gibt es Theorien. So liefern die durch den steigenden Salzgehalt absterbenden Pflanzen reichlich Stickstoff, was diesen so genannten Nitrophyten sehr entgegen kommt. Möglicherweise setzen sie darüber hinaus besonders schnell und umfassend Samen an. Ob sich diese oder andere Faktoren als Ursachen ausmachen lassen, und ob und wie sich der Sommerpolder zu einer typischen Salzwiese zurückentwickelt, das wollen die Wissenschaftler in einer Fortsetzung ihrer Untersuchungen klären.

Von Seiten der Chemie erhalte man hingegen derzeit erwartungsgemäße Ergebnisse, so der Leiter des Forschungszentrums Gerd Liebezeit, der sich den Veränderungen der Stickstoff- und Phosphor-Nährsalzkonzentrationen widmet: Im Bereich der ehemaligen unteren Salzwiese wird der Boden schlichtweg salziger. "Für Bilanzrechnungen sind die Nährstoffeinträge aus der Luft ein gravierendes Problem", fügt Liebezeit hinzu. Denn mit denen habe man sich bislang nur wenig auseinandergesetzt. Es sei jedoch davon auszugehen, dass Stickstoff- und Phosphorverbindungen zeitweise zur Hälfte oder sogar bis zu drei Vierteln, je nach Nährsalz, über Regen eingetragen würden. Abhängig sei dies von der Windrichtung. Anhaltspunkte gebe es dafür, dass bei Südwestwetterlagen hohe, bei Nordwind geringe Nährstoffmengen eingetragen werden. Den Einfluss des Regens untersuchen die Wissenschaftler deswegen nun genauer.

Wer jedoch spektakuläre Veränderungen im Untersuchungsgebiet erwartet, den verweist Liebezeit zunächst auf den Faktor Zeit: Deutlich sichtbar wird sich der Sommerpolder erst in den nächsten Jahren bis Jahrzehnten wandeln. Dies dürfte vor allem die Pflanzengesellschaften und seine Gestalt – etwa zusätzliche Priele durch Sturmfluteinbrüche – betreffen. Hierzu seien Daueruntersuchungen oder zumindest Wiederholungsuntersuchungen in zum Beispiel fünfjährigen Abständen wünschenswert und sinnvoll, so die Wissenschaftler.

(Forschungszentrum Terramare, Wilhelmshaven, 22.06.2006 – AHE)

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