Professor Dr. Georg Kleinschmidt, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Polarforschung, forscht seit fast 30 Jahren auf den Südkontinenten. Sein besonderes Augenmerk gilt dabei der Geschichte der Kontinentalverschiebung, die in den kristallinen Strukturen der Gesteine der Antarktis, Australiens und Südafrikas geschrieben steht. Seine Begeisterung für die wissenschaftliche Arbeit und sein Tatendrang sind nach wie vor ungebrochen.
GeoUnion:
Herr Kleinschmidt, warum ist die Antarktis geologisch so interessant für Sie?
Kleinschmidt:
Sie ist nicht nur für mich interessant, sie ist es überhaupt. Wenn man in den Südkontinenten Geowissenschaften betreibt, bekommt man es zwangläufig mit der Geschichte und der Rekonstruktion der Superkontinente Gondwana und Rodinia zu tun. Und alles, was mit Gondwana und Rodinia zusammenhängt, geht nicht ohne Antarktis. Die Antarktis ist dabei und auch allgemein unverzichtbarer (Forschungs-)Bestandteil der Erdgeschichte, ja der Erde überhaupt. Die heutige Geoforschung hat eigentlich immer oder meistens das Gesamtsystem Erde im Visier – und dazu kann man nichts ohne die Berücksichtigung des Kontinents Antarktis beitragen. In den genannten Superkontinenten hatte die Antarktis eine zentrale Position inne; im heutigen System Erde nimmt die Antarktis eine – im übertragenen Sinne – zentrale Position ein, z.B. hinsichtlich Entwicklung von Klima oder Biodiversität. Zugleich ist in der Antarktis vieles zwangsläufig noch sehr unbekannt, z.B. aus geowissenschaftlicher Sicht: Wie sieht der geologische Bau unter dem kilometerdicken Antarktiseis aus? (Über 99 Prozent des Kontinents sind von Eis verhüllt!). Und schließlich ist die Antarktis schlicht ein faszinierender Kontinent: mir geht es wie den meisten Antarktikern: wer einmal dort war, ist gerade zu süchtig danach, wieder hinzukommen!
GeoUnion:
In einem Artikel haben Sie einmal geschrieben, Australien und Antarktis würden eine gute Dauerehe führen. Wie ist das zu verstehen?
Kleinschmidt:
Dauerehen sind heutzutage nicht unbedingt selbstverständlich. Und ähnlich sind Dauerverbindungen heute getrennter Kontinente in der Erdgeschichte eher die Ausnahme. Darum ist es m.E. etwas besonderes, dass der größte Teilbereich der Antarktis und der größte Teilbereich Australiens mindestens von 2 Milliarden bis 50 Millionen Jahren vor heute zusammenhingen und voraussichtlich „demnächst“ (in 100 Millionen Jahren) auch wieder zusammenhängen werden.
GeoUnion:
Wie sind Sie zu diesen Erkenntnissen gekommen?
Kleinschmidt:
Dafür dass dieser innige Zusammenhang so lange bestand, gibt es Belege im südlichen Australien und im gegenüberliegenden Teil der Antarktis. Die überzeugendsten dieser geologischen Belege stammen von vor 1,7 Milliarden Jahren (eine riesige Scherzone im antarktischen George-V.-Land und in Südaustralien), von vor 500 Millionen Jahren (symmetrisch nach Westen und Osten gerichtete Überschiebungsbahnen in Victorialand einerseits und in Südaustralien/Victoria andererseits) und von vor 180 Millionen Jahren (chemisch völlig identische Vulkanite). An den ersten beiden Belegen habe ich mitgearbeitet.
GeoUnion:
Warum finden Sie es wichtig, dass man weiß, wie und wann sich die Kontinente in der Vergangenheit getrennt haben?
Kleinschmidt:
Die ganz groben Linien der Erdgeschichte gehören m.E. zur Allgemeinbildung. Jeder sollte eine Ahnung davon haben, dass sich die Platten der Erd(krust)e gegeneinander verschieben, dass sie sich dabei zu Großkontinenten zusammenklumpen und wieder trennen, dass ein großes Zusammenklumpen z.B. vor 600 Millionen bis 500 Millionen Jahren (in den Südkontinenten) oder vor 320 Millionen bis 300 Millionen Jahren (hier bei uns) stattfand. Derartige Prozesse haben naturgemäß Einfluss auf die Entwicklung von Klima und Lebewelt. So wie jeder etwas von Goethe, Beethoven, Einstein, Caspar David Friedrich und Friedrich dem Großen gehört haben sollte, sollte er auch etwas von Alfred Wegener, d.h. der Kontinentalverschiebung gehört haben.
GeoUnion:
Was sind für Sie die Meilensteine Ihrer wissenschaftlichen Karriere?
Kleinschmidt:
Ob es in meiner Karriere „Meilensteine“ gab, ob ich überhaupt eine „Karriere“ habe, weiß ich nicht. Aber mein erster Schritt in Richtung Antarktis, war sicherlich eine entscheidende Weichenstellung in meinem Leben. Und diese Weiche wurde 1977 während einer Tagung in Göttingen gestellt. Und dann war natürlich die erste Expedition 1979/80 einschneidend, weil sie mich – wie ich glaube – ziemlich verändert hat: Mit knapper Not entgingen wir seinerzeit. einer Katastrophe (viertägiger Orkan im Zelt). Und die m.E. interessantesten Ergebnisse erbrachten die Expeditionen 1982/83, 1987/88 und 1988/89,
– auf denen ich die Subduktionsorogenese des antarktischen Ross-Orogens zusammen mit den Kollegen Ed Grew (Orono/USA), Wolfgang Schubert (Würzburg) und Franz Tessensohn (Hannover),
– bzw. den ersten Deckenbau in der Antarktis überhaupt (Shackleton Range, zusammen mit Werner Buggisch, Erlangen),
– bzw. den Überschiebungsbau Nordvictorialands zusammen mit Thomas Flöttmann (Adelaide/Australien) nachweisen konnte.
GeoUnion:
Zehn Expeditionen in die Antarktis, bekommt man von diesem Kontinent irgendwann genug?
Kleinschmidt:
Nein – siehe oben.
GeoUnion:
Sie sind seit 2003 im Ruhestand. Ist der wirklich ruhig?
Kleinschmidt:
Man belächelt gern den Ruhestand von manchen Ruheständlern als „Unruhestand“. Ich weiß gar nicht, wie das alles, was ich jetzt betreibe, vorher bei vollem Vorlesungsbetrieb habe leisten können. By the way – gelegentlich lese ich auch jetzt noch: im vergangenen WS 2005/06 habe ich die „Geologie der Antarktis“ – nicht ganz ohne Erfolg – gelesen.
GeoUnion:
Was wünschen Sie sich vom und für den wissenschaftlichen Nachwuchs?
Kleinschmidt:
Begeisterung für die Wissenschaft, für die Forschung, Tatendrang, Neugier, Risikobereitschaft und natürlich auch die Möglichkeit, irgendwann auch mal in Ruhe und gesichert arbeiten zu können.
GeoUnion:
Vielen Dank für dieses Interview.
(GeoUnion / Deutsche Gesellschaft für Polarforschung, 22.05.2006 – Kirsten Achenbach)