Ob Chemieunfall oder Terroranschlag – je schneller die Rettungskräfte über die Ausbreitung von giftigen Gasen informiert werden desto besser. Nun haben Wissenschaftler ein neues Fernerkundungssystem entwickelt, mit dem solche Gefahrstoffwolken auch aus größeren Entfernungen von bis zu fünf Kilometern beobachtet werden können. Dies ermöglicht die Überwachung größerer Gebiete ohne Zeitverzögerung und die Einbeziehung von Bodenmessstationen.
Obwohl die sicherheitstechnischen Vorkehrungen in den vergangenen Jahrzehnten erheblich verbessert wurden, werden bei Unfällen während der Produktion, der Verarbeitung sowie dem Transport von Chemikalien immer wieder Gefahrstoffe freigesetzt. Außerdem ist es in der Vergangenheit zur Freisetzung von gefährlichen Stoffen im Rahmen oder als Folge von Kriegshandlungen oder terroristischen Anschlägen gekommen. Zur Einschätzung der Gefahrenlage durch die zuständigen Einsatzkräfte vor Ort sind schnellstmöglich Informationen über die freigesetzten Stoffe sowie die betroffenen Gebiete erforderlich.
Infrarotstrahlung als Schlüssel
An der Technischen Universität Hamburg-Harburg haben nun Wissenschaftler mit "SIGIS" – "Scanning Infrared Gas Imaging System" eine neue Methode entwickelt, welche die Gefahrenstoffe in der Luft in Sekundenschnelle analysiert. Zunächst tastet dazu ein Scanner-Spiegel die Umgebung ab und erfasst Punkt für Punkt die ankommende Infrarotstrahlung. Das von Roland Harig und seinem Team entwickelte System identifiziert daraufhin die im Infrarotspektrum abgebildeten Schadstoffe und spielt diese in ein Video ein. So erfahren die Einsatzkräften innerhalb weniger Sekunden, wo sich die Schadstoffwolke befindet und welchen Weg sie nimmt.
Gegenwärtig werden verschiedene Methoden zur schnellen Analyse freigesetzter Stoffe vor Ort von den Feuerwehren beziehungsweise den zuständigen Einsatzkräften genutzt. Außer einfachen Verfahren und Sensoren – wie zum Beispiel Prüfröhrchen, Photoionisations-Detektoren, Halbleiter-Gas-Sensoren oder elektrochemischen Zellen – werden zur Stoffidentifikation auch die Gas- Chromatographie/Massenspektrometrie eingesetzt. Diese erfordert jedoch vor Ort eine Probennahme, die mit großen Gefahren für die Einsatzkräfte verbunden sein kann.
"Um Gefahrstoffe zu identifizieren, wurde ein neuer Algorithmus entwickelt, der im Gegensatz zu Verfahren, die in Laboratorien eingesetzt werden, keine Messung reiner Luft vor der eigentlichen Gefahrenstoff-Messung benötigt", erklärt Roland Harig. Das System kann deshalb auch eingesetzt werden, wenn bereits zu Beginn der Messung eine Giftstoffwolke vorhanden ist. Im Algorithmus werden die Einflüsse der in der Atmosphäre vorhandenen Spurengase berücksichtigt. Eine Stoffidentifikation ist auch bei einer Überlagerung der Signaturen des Zielstoffs mit denen der Gase möglich.
Zwei Systeme in Einem
SIGIS ist das erste Fernerkundungssystem, das die guten Eigenschaften eines passiven Spektrometers zur Fernerkundung von Gaswolken mit den Eigenschaften abbildender Systeme, insbesondere der einfachen Interpretation des Messergebnisses, kombiniert. Die Abtastung des gesamten Beobachtungsfelds maximiert die Wahrscheinlichkeit, eine gefährliche Wolke zu finden und zu identifizieren. Die Überlagerung der Aufnahme einer Videokamera mit der Giftstoffwolke erlaubt deren schnelle Ortung. Darüber hinaus kann mit dieser Darstellung in vielen Fällen die Quelle einer Gaswolke gefunden werden. Somit kann SIGIS zur schnellen Einschätzung der aktuellen Lage zum Beispiel bei einem Chemieunfall beitragen.
Die Methode der Fernerkundung von Gefahrstoffwolken mittels Infrarotspektrometrie basiert auf der spektralen Analyse allgegenwärtiger Strahlung im infraroten Spektralbereich, die von den Molekülen einer Gaswolke absorbiert und emittiert wird. Durch Absorption oder Emission eines Photons kann ein Molekül in einen Zustand mit höherer beziehungsweise niedrigerer Energie übergehen. Die Wellenlängen, bei denen dies geschieht, sind charakteristisch für die verschiedenen Moleküle. Dies bedeutet, dass durch Analyse der Umgebungsstrahlung eventuell vorhandene Gefahrstoffe analysiert werden können.
(idw – Technische Universität Hamburg-Harburg, 12.04.2006 – AHE)